Donnerstag, 10. September 2009

Obama & Me

Bilder aus der Sklavenhaltergesellschaft: Michael Moores neuer Film "Capitalism: A Love Story" und ein Hauch von Caesarenwahn - Venedig Blog, 7. Folge,

Von Rüdiger Suchsland

Finanzkrise für Zwölfjährige: Ein düsteres Untergangsszenario über Geschichte und Gegenwart der Finanzwirtschaft, insbesondere über die Bankenkrise 2008, ihre Hintergründe und einen "versteckten Staatsstreich" bei den Versuchen ihrer Lösung. Die brisantesten Informationen sind dabei, wie immer bei Michael Moore, gut versteckt: Mehr als alles andere verblüfft die Erinnerung daran, dass zwischen 1936 und 1981, zu Zeiten des größten Wohlstands der USA in den 50er Jahren, höhere Einkommen mit niemals weniger als 70, zum Teil mit bis zu 94 Prozent besteuert wurden!

Spoiler: Michael Moore ist gegen Kapitalismus! Wow!! Die Nachricht des Tages!!! Da hat uns der amerikanische Linkspopulist, der zumindest äußerlich eher so aussieht, wie im Kino der Weimarer Republik noch die Kapitalisten, aber ganz schön reingelegt. Heißt sein neuester Film, der gerade bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere hatte, doch: "Capitalism: A Love Story". Es kann sich aber nur um eine bitter enttäuschte Liebe handeln. Denn so hell wie das Blitzlichtgewitter bei der Premiere, so dunkel ist der Film.

Nachdem ein lustiger Vorspann kurze Überwachungskamerafilmchen aneinanderreiht, die von Banküberfällen aufgenommen wurden, beginnt Moore mit Bildern aus Hollywood-Sandalenfilmen: Das alte Rom, warum ging es unter? lautet seine traditionsreiche Frage. Vom Sklavenhalterstaat ist die Rede, vom Caesarenwahn, von Dekadenz - die Parallele zu Bush meint Moore trotzdem noch in Form von parallel geschnittenen Bildern aussprechen zu müssen, damit auch alle verstehen.

"Capitalism: A Love Story" ist grundsätzlich ein düsteres Untergangsszenario, in dem Moore in gewohnter Weise völlig unzusammenhängende, aber interessante Fakten zu seinem Thema, durcheinander mischt, mit zum Teil altbekannten, zum Teil wirklich ganz originellen Thesen und Einfällen mischt, wie man das ganze Elend ändern könnte. Um dann Grassroots- und Bürgeraufstandsoptimismus zur Lösung aller Probleme zu erklären. Einmal gelingt Moore damit das Paradox, ein inhaltlich eher depressives Bild zu zeigen - das aber im gut gelaunten Tonfall eines Propagandafilms, und verbunden mit der Aufforderung zur Revolution.

Erster Akt: Phänomenologie des Kapitalismus in seinen Folgen

Um sein Panorama zu illustrieren, häuft Moore diverse Beispiele für den Untergang der US-Wirtschaft und die schleichende Enteignung der Bürger auf: Er zeigt Menschen, die aus ihren Häusern vertrieben werden, Folge überhöhter Verschuldung. Für die sind in Moores Film immer nur diejenigen verantwortlich, die die Kredite vergeben, nie die, die sie nehmen. Natürlich sind überhöhte Zinsen unmoralisch, versteckte Zinsen womöglich ein Verbrechen, auch wenn sie über das Kleingedruckte juristisch legal sind. Aber haben Menschen, die sich überschulden, die hundertausende Dollars leihen und ausgeben, obwohl sie im Monat allenfalls ein paar hundert Dollar zurückzahlen können, in keiner Weise Mitschuld an ihrer Lage? Moore scheint das nicht zu denken, aber er argumentiert auch nicht dagegen, er wirft diese Frage überhaupt nicht auf. Und das nervt, nicht zuletzt weil er mit solch' einer simplifiziernden Herangehensweise das viele, was an seinem Film wichtig, gut, und interessant ist, schwächt.
Moore zeigt Leute die klagen: "There is no in between - people who have it all and people who have got nothing." Das stimmt, wird aber auch nicht durch Diskurse über Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich vertieft. Außerdem ist er manipulativ in seiner billigen Sentimentalität.
Moore zeigt ein privatisiertes Jugendgefängnis, das in erster Linie für seine Eigner ein Business ist, weshalb man den örtlichen Richter geschmiert hat, um möglichst viel Nachschub für die Zellen zu beschaffen. Das Ereignis ist zwar aufgeklärt und der Richter längst bestraft - aber dies sei kein Einzelfall, suggeriert Moore zwar einleuchtend aber völlig ohne Beweise.
Moore zeigt Flugzeugabstürze und überschuldete Piloten. Moore zeigt, wie Unternehmen Lebensversicherungen auf ihre Angestellten abschließen, die dann ihnen zugute kommen. Mit dem Tod ihrer Angestellten verdienen die Firmen dadurch mehr Geld als sie mit ihrer Arbeit verdienen. Diese Phänomenologie des Kapitalismus in seinen Folgen bildet sozusagen den ersten Akt des Films.

Zweiter Akt: Die schönen Fünfziger

Der zweite Akt ist eine märchenhafte Reise zurück in die Geschichte. In den fünfziger Jahren als Moores Vater noch bei General Motors arbeitete und Klein-Michael Priester werden wollte, da war alles schön und gut in Amerika. Beethoven 9te Symphonie, vierter Satz, aber nicht "Freude schöner Götterfunken", sondern die Passagen davor, untermalen die Bilder von einer rundum glücklichen Konsumgesellschaft zu Eisenhower-Zeiten. Die Menschen hatten eine sichere Arbeit, vier Wochen bezahlten Urlaub im Jahr, und nur einen Geldverdiener pro Familie, aber viele Kinder.

Moore hätte es gar nicht nötig, hier ein derart heiteres Bild zu malen, in dem weder McCarthy vorkommen, noch der Kalte Krieg, geschweige denn der heiße in Korea, in dem Vietnam und andere unschöne Dinge nur ganz am Rande gestreift werden. Denn diese Passage enthält die vielleicht brisanteste Information des ganzen Films: Zwischen 1936 und 1981, zu Zeiten des größten Wohlstands der USA lag die Steuer auf höhere Einkommen (Income-Tax) mit niemals weniger als 70, zum Teil mit bis zu 94 Prozent im Vergleich zur Gegenwart extrem hoch. Kein Wunder, dass der Staat genug Geld hatte und Wohlstand für alle versprechen konnte.

Der Widerspruch der in diesem heiteren Bild liegt, bleibt leider ausgespart: Will Moore denn in die 50er Jahre zurück? Es gab ja auch Bedingungen für diese schöne heitere Flintstone-Idylle: Ausbeutung, Kolonialismus, Imperialismus, Kalter Krieg. Auch hier ist der Film dümmer, als er sein müsste. Und sollte.

Dann wird Beethoven durch Orffs "Carmina Burana" abgelöst, eine Musik, die vorzugsweise verwendet wird, um Hölle und Weltuntergang zu illustrieren. Auftritt: Ronald Reagan. Der Schurke, der die Steuern senkte. Eine Marionette der Finanzindustrie, ein Knecht in den Händen seines Finanzministers und Stabschefs Don Regan. Hypnosebilder, dazu Hitchcock-Musik von Bernard Herrmann.

In diesem Schwarzweiß-Stil geht es weiter. Immer wieder sieht man irgendwelche bösen Finanzhaie, dann weinen Menschen. Die Citigroup veröffentlicht ihr Papier, in dem sie gegen Demokratie und für einen "plutonomy" und "new aristocracy" wettert. Dann sind die Pfarrer dran. Pfarrer sagen: "Capitalism is a sin!", "Capitalism is evil!", "Capitalism is against the holy books!" Da ist es dann nicht schlimm, die Welt in Gut und Böse zu scheiden.
Natürlich würde Moore jederzeit auch fünf Priester finden, die für den Kapitalismus predigen, Antikapitalismus als Sünde brandmarken, die Börse als Gottesgabe feiern und noch die exakte Bibelstelle nennen könnten, in der Jesus die Einführung von Derivaten fordert.
Dass vielleicht der Abschied vom religiös strukturierten Denken, dass ein Ende des politischen Manichäismus ein Schritt zum Besseren sein könnte, scheint Moore dagegen nie in den Sinn zu kommen. Stattdessen outet sich Moore hier mehr denn je als religiöser Spinner, als einfach nur anders gepolter Cousin von George W. Bush, der in ähnlichen chiliastischen Strukturen einfach nur andere Inhalte verpackt. Ein vormoderner Sektierer.

Widersprechen tut er sich auch: Denn als er ein paar Minuten weiter in seiner Predigt dann auf das Thema Demokratie im Unternehmen zu sprechen kommt, stellt er einen Musterbetrieb in Sachen gleicher Bezahlung vor, um dann zum Fazit zu kommen: "They end up making more money." Geht es also darum? Ist Kapitalismus gut, wenn er nur richtig funktioniert, muss man ihn nur besser machen? Zumindest die Beantwortung dieser Frage sollte man von Moore verlangen dürfen.

Dritter Akt: Die Bankenkrise 2008

Das zentrale Thema ist aber die Bankenkrise 2008. Zu ihrer Bewältigung wurden im Oktober 2008 Gesetze durch den US-Kongreß gepeitscht, durch die der Staat für die Schulden der Wall Street haftbar gemacht wird. Die Demokraten ließen sich dazu breitschlagen. Die Folge: "eine Art versteckter Staatsstreich" lautet Moores Fazit, flankiert von ein paar demokratischen Kongreßabgeordneten.
Moore nennt die Schuldigen, wie Senator Christopher Dodd, erinnert an den "Saving and Loans scandal" der Achtziger, und fragt: Wer wurde reich? Antwort: Robert Rubin, Larry Summers, Timothy F. Geithner. Sämtlich der demokratischen Partei und der Clinton-Administration nahestehend. Sämtlich heute einflußreiche Berater, bzw. im Fall von Geithner Finanzminister der Obama-Regierung. Sämtlich der Goldman-Sachs-Bank nahestehen. Bei Moore ist vom "Government Goldman" die Rede. Robert Rubin war außerdem jahrelang in Diensten der Citigroup - wir erinnern uns: Der Bank der neuen Aristokraten. Als Finanzminister begünstigte Rubin durch Aufhebung des Glass-Steagall Acts die Fusion von Kredit- und Investmentbanken, und ermöglichte damit nicht nur die Gründung der Citigroup, sondern auch die Bankenkrise.
"Government Goldman" - dazu muss man wohl auch noch erwähnen, dass Goldman Sachs der größte Financier der Wahlkampagne Obamas war. Gibt es also auch hier einen großen Puppenspieler? Das fragt Moore einstweilen nicht.

Die Feinde: Manchesterkapitalismus und Neoliberalismus

Stattdessen folgert er, dass Kapitalismus irgendwie unchristlich und unamerikanisch ist, und läuft am Ende des Films in Feelgood-Passagen vor den Banken auf und ab und fragt: "Wo ist unser Geld?"

Konzentriert ist dies zwar alles nun auf Amerika - aber zu Moores Gunsten darf man annehmen, dass das alles nur als Beispiel gemeint ist. Würde Moore mit einer ähnlichen Kombination aus Neugier und Sendungsbewußtsein in Deutschland von Abwrackprämie, Commerzbankeinstieg und Garantien für zahlungsunfähige Unternehmen erzählen, würde er die Politik und die Vernetzungen von Regierungspolitikern untersuchen, dürfte er auch fündig werden. Inhaltlich ist sein Film allerdings kein Angriff auf das Modell des Rheinischen Kapitalismus, für den die Große Koalition steht, sondern auf Manchesterkapitalismus und Neoliberalismus wie er von der FDP verteten wird.

Moore, der im gut gelaunten Unterhaltungstonfall eines Propagandafilms sein depressives Bild mit der kraftvollen frohen Botschaft kombiniert, Wandel sei möglich, war in Venedig der Beifall sicher - Stil und für die breite Masse anstrengende Filmkunst kümmern den amerikanischen Dokustar eher wenig, so richtig auf die Füße getreten wurde hier keinem der Anwesenden, und der Grassroots- und Bürgeraufstandsoptimismus, der im Film die Lösung aller Probleme sein soll, war jedenfalls sympathisch.
Im Interview erzählt Obama dann später, er habe einige Szenen des Films nur für einen einzigen Menschen gemacht... Bedeutungsvolles Schweigen...: für Präsident Obama. Welche Szenen es denn seien? Die über seinen Finanzminister. Die über Goldman-Sachs. Da wird Obama bestimmt was Neues erfahren haben? Mensch, Michael, wenn er das früher gewußt hätte. "Obama und ich"- das ist der heimliche Titel dieses und der kommenden Filme von Michael Moore. Wir dürfen noch auf manches gefasst sein. Und da sind wir dann - Sympathie hin, Argumente her - wieder beim alten Rom, wo Hybris nicht weit weg liegt vom Caesarenwahn.

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