Sonntag, 6. September 2009

Es war einmal ein Proletarier

Durch die Schrecken schien uns die Sonne der Freiheit: Der Tag der Sowjethymne - Venedig Blog, 3. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Die schönste Nationalhymne nach der in dieser Hinsicht unschlagbaren "Marseillaise" ist ohne Frage die Hymne der Sowjetunion, die "Gimn Sowjetskowo Sojusa". Zumindest musikalisch. Glücklicherweise können die wenigsten Russisch, so dass der Text nicht weiter stört. Außerdem wird der alle paar Jahrzehnte geändert.
Der Samstag war in Venedig nun ohne Frage der Tag der Sowjethymne. Gleich in vier verschiedenen Filmen war das Lied zu hören, und drei Mal im alten Text, in dem auf den universal gültigen Zweizeiler "Durch die Schrecken schien uns die Sonne der Freiheit, Und Lenin der Große erleuchtete uns den Weg." dann auch noch folgt "Uns erzog Stalin – zur Treue zum Volk, Zu Arbeit und Heldentaten regte er uns an!"
Der erste Film muss dabei nicht weiter beschäftigen, der war eh ein Kurzfilm, Animation, und da er "Sputnik 5" hieß und von der gleichnamigen Weltraummission aus dem Jahr 1960 erzählte, darf uns das Lied auch nicht weiter verwundern. "Sputnik 5" war eine Art sowjetische Space-Arche-Noah: Besetzt mit zwei Hunden, Hühnern, Spinnen, ausgewählten Bakterienkulturen drehte man sich auf den Spuren des heroischen Opfergangs der Hündin Laika ("Sputnik 2", 1957) 18 Mal im schwerelosen Raum um die Erde, und landete anschließend wohlbehalten auf der Erde - die erste Weltraummission, die ein kompletter Erfolg war. Hunde jaulen darin die Sowjethymne, Mäuse singen sie - ein lustiger Vorfilm für den italienischen Film "Cosmonauta": In dessen Zentrum steht ein Mädchen, dass im Jahr 1963 Mitglied in der Jugendorganisation der PCI (der italienischen Kommunisten) ist, und außer für die russische Weltraummissionen, besonders die Kosmonautin Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltraum und Nikita Chruschtschow auch für verschiedene PCI-Genossen schwärmt. Insgesamt mischt der Film konventionelle Coming-of-Age-Motive mit kommunistischer Spaßguerilla, und zeigt nicht nur, wie sowjetische Technologie die Gesetze der Schwerkraft überwindet, sondern auch, wie reaktionär die Genossen in der Geschlechterfrage blieben: Sex wird zur Waffe im Mobbing, da hilft auch der Gedanke der Völkerfreundschaft nicht weiter.

Nur bitter ironisch ist es zu verstehen, wenn die chinesische Regissseurin Guo Xiaolu die Sowjethymne spielt - übrigens in einer englischen Version: Ihr Film "Once Upon a Time Proletarian: 12 Tales of a Country", auf den wir an dieser Stelle noch zurückommen werden, ist ein fabelhaft gemachtes, hochinteressantes Gesellschaftportrait Chinas in Zeiten seines hypermodernen Aufbruchs. "Durch die Schrecken schien uns die Sonne der Freiheit", das ist hier die böse harte Freiheit eines Kapitalismus, der alle Zusammenhänge zerstört.

Bei Michael Moore dagegen, so muss man fürchten, ist das Versprechen ernst gemeint, und seine Verwendung der Sowjethymne womöglich eine versteckte frohe Botschaft. Mit frohen Botschaften jedenfalls hat es der Regisseur von "Bowling for Columbine" und "Fahrenheit 9/11", das ist ja gerade das Paradox seiner Dokuessays die inhaltlich bekanntlich ein eher depressives Bild zeigen - aber eben im gut gelaunten Tonfall eines Propagandafilms, und verbunden mit der Aufforderung zur Revolution. Die bildet auch den Schlussakkord von "Capitalism: A Love Story", in der Moore in gewohnter Weise völlig unzusammenhängende, aber interessante Fakten zu seinem Thema, hier also Geschichte und Gegenwart der Finanzwirtschaft durcheinander mischt, mit zum Teil altbekannten, zum Teil wirklich ganz originellen Thesen und Einfällen mischt, wie man das ganze Elend ändern könnte. Vielleicht ist der Grassroots- und Bürgeraufstandsoptimismus, der im Film die Lösung aller Probleme sein soll, etwas wohlfeil, zumal in dem naiven Ton, in dem er vorgetragen wird, aber er macht sich jedenfalls gut - und die Sowjethymne passt dazu perfekt.

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