Donnerstag, 24. September 2009

Alice im Baskenland

Das Meer, das Meer ... San Sebastián-Blog, 5. Folge

Von Rüdiger Suchsland

San Sebastián ist immer auch ein Ort, an dem das Baskenland sich mit sich selbst beschäftigt. Nicht immer ist das, was dabei herauskommt überzeugend, und manchmal ist es richtig peinlich, und dabei leider auch ein wenig verräterisch für die Mentalitäten, die hier auch in nicht geringem Mass vertreten sind. So geschehen in "Isasoaren alaba" von Josu Martinez. Der Titel bedeutet "Tochter des Meeres" und der Film handelt von Mikel Goikoetxea, einem führenden ETA-Mitglied, das 1983 von der geheimen Regierungsorganisation GAL getötet wurde. Im Zentrum des Films steht Goikoetxeas Tochter Haize, die heute 26 ist, und ihren Vater nie persönlich, sondern nur aus Erzählungen gekannt hat. Haize fungiert im Film als Erzählerin. Immer wieder sitzt sie wie die kleine Meerjungfrau am Strand und sehnt sich nach ihrem Vater, dessen Asche in der kantabrischen See verstreut wurde, träumt vom Bad in den Wellen als Gespräch mit dem Vater - eine seltsame Vereinigungsphantasie und persönlich unbedingt eine traurige Geschichte. Politisch oder historisch bringt der Film aber nichts.
Wie Alice durchs Wunderland geht dieses reichlich unbedarfte Geschöpf durch den ungepflegten Garten der baskischen Geschichte, und trifft Monster, Fabelwesen und Geister, die mit ihren Erinnerungen jeweils ein paar neue Puzzlesteine zur Geschichte ihres Vaters hinzufügen. Das ist irgendwie interessant und trotzdem gar nicht ergiebig - zugleich vor allem aber ein Dokument schreiender Unbelehrbarkeit und Selbstgerechtigkeit. Denn nie im Film wird die Position des Vaters oder der ETA ernsthaft infrage gestellt, und über die GAL erzählt der Film auch nichts. Zwischen lauter sich fortwährend selbst bemitleidenden Terroristen und aufrechten Terroristenwitwen werden nicht ein einziges Mal die Opfer der anderen Seite auch nur erwähnt. Aber gerade eine Position, die es für möglich hält, dass der bewaffnete Kampf der ETA auch nach Francos Tod und dem Beginn der spanischen Demokratie noch etwas Legitimes gehabt haben könnte, gibt sich hier zu viele Blößen. So ist "Isasoaren alaba" vor allem nationalistischer Kitsch.

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