Sonntag, 27. September 2009

Kleine Lolita in sexy Posen

Exploitation, Empfindungskino ohne Reflexion und deutsche Propaganda-Lügen - San Sebastián-Blog, 9. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Manchmal ist es besser, gar nichts zu schreiben. Zumindest zunächst einmal. Und eigentlich hätte ich Matthias Glasners neuen Film "This is Love" hier fürs erste und vielleicht überhaupt am liebsten unerwähnt gelassen. Ich schätze diesen Regisseur, ohne eigentlich genau zu wissen, warum. Er ist immerhin mutig, und scheint sich in seinen Filmen oft mehr für Bilder, für Momente, für Schönheit zu interessieren, als für das, was an vielen Filmhochschulen so unterrichtet wird. Und sein neuer Film "This is Love" ist ein Film, dem das schnelle Urteil bestimmt nichts nutzt.

"I walked out, it's so cheap" sagt die serbische Kollegin Dubravka, die dieses Jahr in der Fipresci-Jury sitzt, und und mir auf der Rolltreppe über den Weg läuft, "but I liked his first films..." Genau! "Terribile, terribile" seufzt eine italienische Kollegin... "This is Love" wird es schwer genug haben. Die Kombination aus der Tatsache, dass Glasner in seinem letzten Film im Berlinale-Wettbewerb vertreten war, und dass er jetzt im Wettbewerb von San Sebastián läuft, der zwar der viertwichtigste und -beste ist, aber mit denen von Cannes, Berlin, Venedig an Bedeutung eben doch nicht mithalten kann, verrät jedem, der sich für solche Dinge interessiert, dass der Film von den genannten drei A-Festivals offensichtlich abgelehnt wurde - was offiziell natürlich immer anders kommuniziert wird: "Wir haben denen den Film gar nicht gezeigt ...", "Der Film ist nicht fertig geworden ..." Klar. Logo. Was sonst?

Wir sind als Kritiker keine Fußballreporter, die unser nationales Team auf einem Turnier begleiten, und erklären, ob es das Finale erreicht oder wenn nicht, ob es an einer schlechten Schiedsrichterleistung lag. Schon gar nicht müssen wir mit dem Team fiebern und bangen. Sollten wir auch nicht.

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Wenn aber Medien oder Kollegen sich genau so verstehen, dann muss man gegenhalten. Lügen nennen, was sie sind. Genau darum und nur darum gibt es diesen Text. Denn nicht etwa eine wohlwollende Interpretation, sondern eine glatte Lüge, ist das, was in dem sogenannten Branchenmagazin "Blickpunkt Film", das manche immer noch für eine seriöse Publikation und nicht für ein von der Branche zum Eigenlob finanziertes Werbeblättchen halten, über "This is Love" online zu lesen war: "Fulminant gefeiert" worden, sei der Film. Nunja. Bei der Pressevorstellung verließen die Leute scharenweise das Kino noch während der Film lief. Die, die drin blieben, sprachen später nur noch vom "German-Handjob-Film", warum, darauf kommen wir noch. Am Abend gab es höflichen Applaus, keineswegs aber wurde da irgendwas groß oder fulminant gefeiert.

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In "This is Love" hat sich der Regisseur von "Der freie Wille", in dem ein entlassener Sexualstraftäter im Zentrum stand, wieder an einen überaus kontroversen, mit guten Gründen tabubesetzten Stoff gewagt: Pädophilie, das sexuelle Begehren eines Erwachsenen nach einem Kind. Schon, ob man hier überhaupt von "Liebe" reden kann, ist fragwürdig. Der Däne Jens Albinus (der leider eine absurde Fehlbesetzung ist) spielt Chris, einen jungen Mann, der gegen Kinderhandel und –prostitution kämpft, selbst aber für die Reize junger Mädchen alles andere als unempfänglich ist. Er verliebt sich in eine seiner Schützlinge – der Anfang einer Spirale in den moralischen und kriminellen Abgrund. Der Film ist zu großen Teilen durchdrungen von krasser Unsicherheit des Regisseurs: Nie findet Glasner eine klare Haltung zu seiner Figur, Chris bleibt zu unsympathisch, und auch dann schwer verständlich, wenn man sich auf ihn einlassen will.
Das Kernproblem liegt in diesem Fall im Verhältnis von Moral und Ästhetik. Glasner wollte - und da hat er wohl recht - keinen Thesenspielfilm gegen Pädophilie drehen. So etwas überzeugt bestenfalls moralisch und politisch, kann künstlerisch aber so gut wie nie glücken. Den Film, den er jetzt gedreht hat, kann man aber als Verteidigung von Pädophilie verstehen, oder ihm zumindest eine indifferente Haltung unterstellen. Ein Missverständnis, wird Glasner sagen. Aber das nutzt ihm nichts: Er hat den Film dem Publikum übergeben, und damit die Macht über ihn verloren. Bei der Pressekonferenz wurde zweimal gefragt ob "This is Love" nicht eine "Apologie" von Pädophilie darstelle. Und man kann diese Frage nicht als schlichte Dummheit abtun, denn Glasners Film ist an einigen Stellen in seiner Darstellung einfach schlüpfrig, und bestenfalls ambivalent. Dies gilt zum einen für das kleine Mädchen, die zehnjährige Jenjira. Dafür dass die Darstellerin Lisa Nguyen ein hübsches Mädchen ist, kann sie nichts. Dass Glasner sie in verführerische Kostüme steckt, schminkt und in sexy Posen inszeniert, mag noch der Rolle geschuldet sein. Sehr wohl aber hätten Regie und Kamera sie nicht ausschließlich auch für den Zuschauer als kleine Lolita inszenieren müssen, sie für den Zuschauer hässlich machen können. Der Zuschauer muss die Verführungskraft der Zehnjährigen für Chris verstehen, vielleicht auch einmal nacherleben - aber wenn ihm fortwährend nur ein Angebot zur Nachempfindung gemacht, wird, nicht zur Distanzierung, wenn der Regisseur seinen Zuschauer immer wieder in den POV eines Pädophilen versetzt und für diesen Entschuldigungen findet, ohne den Betrachter dann auch wieder zu enttäuschen - dann wird der Film zur Exploitation. Einmal mehr fällt hier also ein deutscher Film auf das Vorurteil herein, Kino sei Sentiment, nicht Reflexion, einmal mehr sieht man Empfindungskino ohne Gedanken. Dass man dem dann zugestehen muss, dass es stylish aussieht, ist kein Kompliment, sondern verstärkt angesichts des Themas nur noch den Irrweg.
Aber auch die konkrete Handlung setzt falsche Signale: Ein zweiter Erzählstrang zeigt Chris nämlich im Verhörzimmer der Polizei. Corinna Harfouchs starker Auftritt als Kommissarin, die über die Ermittlung mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert wird, ist einer der Lichtblicke im Film. Sie verhört Chris vor allem, weil Jenjira vermisst wird, und man über ihn herausfinden will, wo sie ist. Nach Tagen verrät er am Ende des Films das Versteck. Dort wird sie gefunden, gefangengehalten ohne Wasser und Nahrung, fast gestorben. Das letzte Bild nun zeigt wie Jenjira und Chris im Polizeiwagen zurückfahren - und irgendwann schließen sich ihre Hände zärtlich ineinander. Diese Versöhnung des potentiellen Mörders und seines Beinahe-Opfers, die im Kontext nur als Verzeihung für seine Taten verstanden werden kann, ist einfach nur obszön - und wurde so auch empfunden.

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Glasner und Jürgen Vogel, erzählt eine deutsche Kollegin, würden gern ihre Zitate persönlich autorisieren lassen. Eine Unsitte, die alle Journalisten ärgert, die nur in Deutschland existiert, dort aber immer mehr um sich greift. Woanders wäre eine solche Forderung den Regisseuren und Darstellern persönlich peinlich. Ich selbst habe allein in San Sebastián mit Naomi Watts, Chiara Mastroianni, Christophe Honoré, Bruno Dumont um nur die wichtigsten zu nennen, Einzel-Interviews geführt. Niemand von diesen Leuten, die mit Verlaub ein wenig wichtiger sind, und mehr zu verlieren haben, als die Herren Glasner und Vogel, möchte "gegenlesen".
Aber nun, dann machen wir eben kein Interview, sondern nehmen einfach die Zitate aus der Pressekonferenz ganz ohne Autorisierung.

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Bei der Pressekonferenz nach der Premiere sagte Glasner, der abwechselnd auf deutsch und englisch antwortete, "It's very difficult for me to speak about my films", es sei ihm darum gegangen, "zwei Menschen zusammen zu bringen, die sich erkennen in ihrem Schmerz." Und weiter: "Alle Menschen, die immer gut drauf sind, machen mir irgendwie Angst. Die sind nicht in der Lage, Empathie zu empfinden." Es gehe in dem Film "um Liebe, um Verletzung, um zerstörte Liebe, um die zerstörerische Kraft von Liebe." Liebe ist für Glasner nur "diese komische romantische Idee, die ein Mythos war, der aus Literatur und Kunst stammt." Nach Nabokovs "Lolita" gefragt: Nein, damit habe das gar nichts zu tun. "Ich hab den Roman gelesen, den ich wesentlich besser finde als den Film."

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Kleine Anmerkung am Ende: Man sollte wissen, wo man hinfährt. Der dänische Hauptdarsteller Jens Albinus rief nach der Vorstellung ins Publikum - und erntete Buhs und Unmutsäußerungen der Basken. Nicht für seinen Auftritt, der es verdient hätte, sondern weil er "Eviva espana!" gerufen hat. Das ist mindestens so, als würde man in München rufen: "Hoch auf die Preußen!"

1 Kommentar:

  1. Hallo Rüdiger,

    kleine Geschichte zum Thema Gegenlesen: Ihr Kritiker werdet nach den Pressevorführungen ja von der Agentur nach euerer spontanen Meinung zum Film befragt. Diese Meinungen werden dann an den Regisseur weitergeleitet.

    In deinem Fall wurde mir das Zitat übermittelt, dass du den Film tendenziell toll findest.

    Möchtest du gern mit dieser Aussage öffentlich zitiert werden?

    Glaubt ihr Kritiker denn wirklich, den Herren Glasner und Vogel macht es Spass, ihre Interviews noch mal zur "Zitatfreigabe" (und nichts anderes wollen wir) gegenzulesen? Es ist mühsam, zeitaufwändig und oft frustrierend, da man ja dabei zum Beispiel oft mit den reflexionsarmen Fragen konfrontiert wird von euch...

    Du unterstellst uns da irgendeine Eitelkeit. Aber was soll den daran bitte eitel sein? Die von dir zitierten Kollegen, die nicht gegenlesen wollen, tun das aus einem einzigen Grund: Weil es ihnen scheissegal ist, ob sie richtig zitiert werden oder nicht. Weil euer ganzer Berufsstand ihnen scheissegal ist.

    So zynisch sind Vogel und ich glücklicherweise noch nicht. Obwohl ich mir manchmal wirklich überlege, wofür ich mir den ganzen Stress antue, denn das Publikum interessiert die ganze ernsthafte Presse zum Film doch sowieso nicht mehr, wie das traurige Missverhältnis von Feuilletonlob und Zuschauerzahlen beweist.

    Aber das ist ein anderes Thema.

    Deine völig aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate von mir aus der Pressekonferenz zeigt ja auch, dass ihr auf einer anderen Ebene sowieso immer am längeren Hebel sitzt: In dem ihr nämlich das Gesagte bis zur Verfälschung zusammenkürzt.

    So, wie du auch einfach nur die negativen Kritikerstimmen zitierst und die zahlreichen positiven einfach weglässt. Ja, so kann man der unehrlichen Berichterstattung von Blickpunkt Film natürlich auch entgegen treten: In dem man es ihnen mit gleicher Münze heimzahlt und einfach die (eigene) Unwahrheit streut.

    Das Publikum hat nämlich nach der Premiere in San Sebastian tatsächlich minutenlang stehend applaudiert. Aber das kannst du nicht wissen, denn du warst garnicht da. Du warst da schon auf unser Premierenfeier und hast hoffentlich gut gegessen und getrunken.

    Zum Schluss kann ich dir auch noch noch bei deiner Frage helfen, warum du mich als Regisseur so schätzt: Das kommt daher, das ich der zweitbeste Regisseur der Welt bin...

    Lieben Gruss,

    Matthias Glasner

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