Freitag, 25. September 2009

Desperate Housewives in Madrid

Aber mehr Kaurismäki als Almodóvar, Kritikertalk und Publikumsbeschimpfung, sowie ein Sekret in argentinischen Augen - San Sebastián-Blog, 7. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Eine Frau am Morgen im Bademantel. Sie ist schon älter, aber nicht alt. Sie hat keine Eile, sich anzuziehen. Ihr Mann, ein Taxifahrer, ist schon weg zur Arbeit, die Rippchen für den Mittag sind vorbereitet. Wir werden diese Frau begleiten in ihrem Leben bis zum nächsten Morgen. Sie macht die Hausarbeit, verdient nebenbei ein wenig Geld mit Schönheitsbehandlungen - Haare entfernen und so - und bekommt entsprechend Besuch von Kundinnen. Ihr Mann wird anrufen und sagen, dass er doch nicht zum Mittagessen heimkommt. Sie wird sich selbst befriedigen, und am Abend mit ihrem Mann vor dem Fernseher sitzen. "La mujer sin piano", also "Die Frau ohne Klavier" heißt dieser zweite Spielfilm des Spaniers Javier Rebollo ("Lo que sé de Lola") im San Sebastián-Wettbewerb, und man fragt sich zwischendurch, ob der Titel womöglich einfach als Anspielung auf "Die Klavierspielerin" gemeint ist. in jedem Fall könnte der Film auch "Desperate Housewives in Madrid" heißen, vielleicht noch mit dem Zusatz "meets Kaurismäki". Rebollos Film ist ganz spartanisch und lakonisch erzählt, mit einem absurdistischen Humor, der anfangs im subtilen Spiel aus Wiederholung, Aufeinanderfolge und Deja Vu's fast schon an Tati erinnert, in der zweiten Hälfte aber ins Kaurismäki-Terrain abgleitet, zu sehr auf Skurrilitäts-Witzischkeit setzt, verbunden mit einer latenten Elendspoesie, díe schnell auf die Nerven geht, und - weil vorhersehbar - langweilt.
Aber bleiben wir noch bei der ersten Hälfte: Denn da setzt der Regisseur ganz auf die Komik von Alltagssituationen: Telefonwarteschleifen und Telefonwerbung, deren Anrufe immer im falschen Moment kommen. Die Allgegenwart von Mobil-Telefonen. Schalterbeamte, die auf irgendwelchen sinnlosen Formalien bestehen, wie die Dame bei der Post, die unserer Hauptfigur ein Paket nicht herausgibt, weil ihr Ausweis abgelaufen ist. Sie hatte etwas in einer TV-Verkaufssendung bestellt. Die überlaute Dauerpräsenz des Fernsehens soll auch witzig sein, und uns zugleich die Absurdität unser allen Daseins vorführen. Wie gesagt, funktioniert das solange, wie es beiläufig bleibt. Dann, am Abend, als der Gatte eingeschlafen ist, wird es aufdringlich: Da setzt die Hausfrau sich eine Perücke auf, bewegt sich durchs menschenleere, nächtliche Madrid, trifft einen Polen, wird für eine Nutte gehalten, sitzt mit Dauerlächeln, das von Verzweiflung kaum zu unterscheiden ist, in Cafes herum. Da wartet man dann nur noch darauf, dass weiterhin nichts passiert, sie endlich nach Hause zurückkehrt, und der Film vorbei ist.

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Im Bus zum Festivalzentrum begegne ich Jan Lundholm, Kritiker aus Schweden und ein Dauergast auf den großen Festivals. Er fragt, was ich gesehen hätte, und als ich ihm erzähle, gestern hätte ich einen Film gesehen, den man "Desperate Housewives in Madrid" nennen könnte, sagt er: "Das klingt aber nach einem Almodóvar-Film". Aber Almodóvar, sage ich, "das sind ja doch mehr die "happy desperate housewives". Wir kommen auf die Franzosen-Reihe, er sagt, er könne diese bourgeoisen Männer und Frauen der Franzosen nicht mehr sehen, und während ich ihm erkläre, dass mir das zwar nichts ausmacht, die Filme hier aber sowieso ganz anders seien, kommt er auf Agnes Jaoui und Resnais, die Franzosen, die der mag. Bei Jaoui hätte er mich ganz auf seiner Seite, sage ich, aber Resnais, der gehe mir doch mittlerweile auf die Nerven. Den frühen Resnais finde ich ganz toll, die Filme der letzten Jahre seien demgegenüber eine einzige Enttäuschung, läppische und selbstgefällige Alterswerke, und außerdem mag ich's nicht, wenn Leute auf der Leinwand singen. Jan verteidigt Resnais, vergleicht ihn mit Ozu, von dem er im Sommer acht Filme gesehen hat. Schnell ist er bei der Criterion-Box "Silent Ozu" und bei den Varianten einer amazon-Bestellung. Ich frage ihn, ob er letztes Jahr in der "Japon en negro"-Retrospektive zum japanischen Film-Noir "Dragnet Girl" gesehen hat, den einzigen Ozu, bei dem ein Schuss abgegeben wird. Dann versuche ich es nochmal, ihm die Franzosen schmackhaft zu machen, erwähne Christoph Honoré. "Da wird doch auch viel gesungen" sagt er. Stimmt, "you've got a point" gebe ich zu, sogar viel, aber im Fall von Honoré mache es mir halt nix aus. Dann ist der Bus am Ziel, und wir steigen aus - und eines jener typischen Gespräche, wie es Kritiker auf Festivals führen, ist vorbei.

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"Das Leben auf Festivals ist viel intensiver" hatte die deutsche Kollegin Julia Macher erst vor zwei Tagen gemeint, "da passiert ganz viel in ganz kurzer Zeit." Das auch, ja. So intensiv, dass wir uns dann kaum noch über den Weg gelaufen sind. Im Festivalzentrum dann spricht mich ein spanischer Kollege - wie heißt der nur wieder? - an, ob ich schon den Kritikerspiegel in der örtlichen Zeitung "Diaro Vasco" gesehen hätte. Bei den spanischen Kritikern gilt Christophe Honorés "Making Plans for Lena" als bislang schlechtester Film des ganzen Wettbewerbs und läge ganz hinten, dicht gefolgt von Bruno Dumonts "Hadewijch". Ich verweise auf das Publikumsbarometer, wo mein persönlicher Lieblingsfilm "Yuki & Nina" ebenfalls und unverständlicherweise fast ganz am Ende der Publikumsgunst liegt, und Hanekes "Das Weiße Band" ist kaum besser platziert. Schlechter liegt hier nur noch Jim Jarmuschs "The Limits of Control". Der läuft hier, weil er in Spanien noch nicht gestartet ist. Ganz vorne in der Publikumsgunst liegt "Desert Flower", eine politisch korrekte Schmonzette über Frauenbeschneidung von Sherry Hormann und "Precious", ein Sundance-Erfolg. Diesen Film fanden viele gut. Ihn hatte ich nicht gesehen, weil ich die Inhaltsbeschreibung gelsen hatte: "Prescious Jones is a High-School-Girl with nothing working in her favor. She is pregnant with her father's child for the second time. She can't read or write, and her schoolmates tease her for beeing fat. Her home life is a horror, ruled by a mother who keeps her imprisoned both emotionally and physically."
Natürlich auch nur persönliche Vorurteile meinerseits. Bei den Filmen, die ich kenne, kann ich allerdings sicher sagen: Je schlechter die Publikumszustimmung, um so besser der Film. Der spanische Kollege, dessen Name mir einfach nicht einfallen will, widerspricht: "Von einem Kritiker verlange ich ein bisschen mehr als vom Publikum. Ich schäme mich für solche Kollegen." Vielleicht liegt es aber auch in der Natur eines "Kritikerbarometers, das dann Schnittmengen sammelt. Bei Mehrheitsentscheidungen, auch unter Kritikern, das beweisen auch die Kritikerpreise in Deutschland, kommt meistens etwas Dummes heraus. Dafür muss man nicht bis zur Wahl am Sonntag warten.

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Um einiges überschätzt wird von vielen der argentinische Wettbewerbsbeitrag "El secreto de sus ojos" - übrigens der klar führende in der erwähnten Kritikerwertung. Ein formal ganz anständiger Thriller über einen Ermittler, der sich nach seiner Pensionierung daran macht, ein 25 Jahre altes Verbrechen doch noch aufzuklären, das ihn einfach nicht loslässt. Das führt ihn in die Zeit der Diktatur, der argentinischen Todesschwadronen zurück. Vor allem aber geht es um die Mitläufer und Mitschweiger, um die, die weggesehen haben. Als Kommentar zu diesem Feld aus Schönfärben und Vergessen funktioniert der Film - und wird bestimmt am Samstag einen Preis gewinnen. Man könnte sich ihn auch in Deutschland, oder überhaupt in Europa im Kino gut vorstellen. Aber eben vor allem, weil er nie wehtut, weil er im Gegenteil das Allgemeine mit einer privaten Liebesgeschichte vermengt. Das ist nun keineswegs eine Konkretisierung, wie die Marketingfachleute dann eilfertig dem Formelkino die Formel hinterherliefern, sondern eine Verfälschung. Das Sentimentale bettet hier nicht das Unsentimentale ein, sondern macht es unsichtbar, und die Trauer der Hauptfigur, die als politisch korrekte Verarbeitung verkauft wird, ist am Ende doch nur das Selbstmitleid eines Mannes, der bei einer Frau nicht zum Zuge kam. Zum Liebeskitsch kommt dann der Politkitsch hinzu, um die Wahrheit vollends verschwinden zu lassen.
So geht es derartigen Filmen, wie dem Kaffee, dem erst Süßstoff beigemischt wird, um die unangenehme Substanz überhaupt erst konsumierbar zu machen, der dann aber auch noch dekoffeiniert wird. Was bleibt, ist Zuckerwasser.

Dafür, dass diesem Eindruck nichts hinzuzufügen ist, spricht auch, dass der Film von den Kultur-Journalisten der westeuropäischen Hemisphäre, Spaniens wie Deutschlands, die seit jeher im Salon der folgenlosen Polit-Debatten sich warm gebettet haben, überaus wohlwollend aufgenommen wird, während die Lateinamerikaner, die ja wissen sollten, wovon die Rede ist, "El secreto de sus ojos" mehrheitlich verachten. Die 1,3 Millionen Zuschauer, die der Film in Argentinien angeblich ins Kino lockte, taugen nicht zur Widerlegung - das ist dann bestenfalls Laufkundschaft, schlimmstenfalls handelt es sich um die Profiteure des Beschweigens und ihre naiven Claqueure. Am Einfachsten brachte alles aber die Journalistin Pamela Pienzobras aus Chile auf den Punkt: "'El secreto de sus ojos' hat mit der Wahrheit über Argentiniens Diktatur so viel zu tun, wie 'Das Leben der Anderen' mit der über die DDR.

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