Samstag, 12. September 2009

Apocalypse Now bei den Wikingern

"Valhalla Rising" von Nicolas Winding Refn und John Hillcoats "The Road" - Venedig Blog, 10. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Es kann hier jederzeit alles passieren. Und das über einen Film sagen zu können, ist doch schon mal eine ganze Menge.
Am Anfang, wenn man noch gar nicht weiß, worauf dieser Film hinausläuft, ist da die totale Ungewissheit. Als erstes sieht man auf schwarzem Grund ein Insert: "In the beginning, there was only man and nature". Im Laufe des Films dann fragt man sich irgendwann, ob dieser Film womöglich auch die Sehnsucht danach artikuliert? Die nach der Einfachheit oder nach dem Anfang? "Then men came bearing crosses and drove the heathen to the ends of the earth."

Der Film ist in Kapitel unterteilt, es werden sechs werden, aber das weiß man zunächst noch nicht. Das erste heißt "Wrath", "Zorn".
Die Welt ist Grau, Schwarz, ein wenig Grün, sie besteht vor allem aus Schlamm und Matsch. Eine Berglandschaft, in der es sich schwer leben läßt. Alles ist hässlich und dreckig. Hier begegnen wir einer schweigenden Männergesellschaft, die sich mit brutalen Kämpfen von Gladiatoren-Sklaven amüsiert, Wetten auf den Ausgang abschließt. Ein Catchen auf Leben und Tod, fast wortlos, die Tonspur konzentriert sich ganz auf das Pfeifen des Windes, und auf das Schlagen und Krachen der Knochen aufeinander. Gelegentliche Splattereffekte. Auch an "The Wrestler" muss man kurz denken, der hier vor einem Jahr in Venedig gewann. Die Landschaft sorgt für einen Hauch von "Highlander". Und der Film ist spürbar mit dieser Männerwelt einverstanden. Er beobachtet sie von Außen, aber mit Faszination und Sympathie. Es sind Verhältnisse, die wir, ereigneten sie sich in unserer Zeit, als faschistisch verabscheuen würden. Angesiedelt in historischen Frühzeiten blickt der Film aber, und wir mit ihm, freundlich, neugierig und voll undefinierter Ehrfurcht auf diese Zeit, als Männer noch Männer waren. John Milius läßt grüßen.

Die Catch-Kämpfer verbringen ihren Tag angekettet in Holzkäfigen. Der beste, erfolgreichste, also gefährlichste von ihnen wird von Mads Mikkelsen gespielt. Sein eines Auge ist tot und zugewachsen, so ähnlich wie das Auge von Kirk Douglas in Richard Fleischers "The Vikings". Ein kleiner Junge versorgt ihn.
Dann eines Tages, und man hat es geahnt, bricht er aus, nur drei Schläge mit der Axt sind nötig, und die Hilfe des Jungen. Zuvor hatte man noch die Prophezeiung seines Herren gehört, der ihn wie ein Tier gehalten hatte: "Those driven by hate, will survive".

Im zweiten Kapitel, "Silent Warrior", treffen die zwei, die schweigend durchs Hochland wandern, auf eine andere Gruppe. Von den "weißen Christen des Nordens" war einmal die Rede gewesen, um sie handelt es sich wohl. Und sie sprechen Englisch, bald haben wir verstanden, dass der Film im Norden der britischen Insel spielt. Die Christen reden vom Leiden und vom "neuen Jerusalem", das sie erobern wollen. Ihr König sagt: "We are more than flesh and blood. You should consider your soul." Der Kämpfer schweigt noch immer. Nichts kommt aus seinem Mund, und bis zum Ende dieses Films wird Mads Mikkelsen nicht ein Wort gesagt haben. Der blonde Junge spricht für "One Eye", wie sie ihn jetzt nennen. Er ist seine Stimme, aber auch seine ausgelagerte soziale Seite. Die Nabelschnur, die diesen Einzelgänger noch mit seinen Mitmenschen verbindet.

Im dritten und vierten Teil - "Men of God" und "The Holy Land" segelt eine Gruppe von kaum einem Dutzend Krieger in Richtung auf das nicht näher definierte Land. Der Film zeigt so gesehen die Wahrheit über die Kreuzritter, die hier nur als Wahnsinn erscheinen kann. Die Überfahrt ist lang und schwer. Am Ende ist das heilige Land erreicht, eine irreale, fantastische Welt. Mehr und mehr verliert sich die Reise im Nichts. Es gibt Tote, zum Wahnsinn der Religion kommt noch anderes hinzu: Mord, Totschlag, Vergewaltigung untereinander, aber auch Morde von Außen, durch die Einheimischen, die sich als Indianer entpuppen. "Hell" und "The Sacrifice" heißen die letzten zwei Kapitel, die die Auflösung der Verhältnisse, das Weltende vollenden.
Kollege Josef Schnelle sieht den Film als kulturhistorisches Dokument. Auf der Ebene interessiert er mich eher gar nicht. Aber als was? Er fühlt sich gut an, soviel ist sicher. Trotzdem kann man sich hier wahnsinnig langweilen. Man kann sagen, der Mann, One Eye, hat seinen Tod gesehen und gesucht. Man kann feststellen, dass hier der Regisseur jede Idee von Heroismus dekonstruiert, und dieses Unterfangen so weit treibt, dass es in Schlachten und Amok endet, vielleicht zu weit treibt. Man kann den Film psychodelisch nehmen, als "Apocalypse Now" bei den Wikingern. In jedem Fall ist dem Dänen Nicolas Winding Refn ("Pusher"-Trilogie) mit "Valhalla Rising" ein besonderer Film gelungen, den man nicht so schnell vergisst.

Das Pendant dazu, gewissermaßen das andere Ende der Zivilisation, liefert der Australier John Hillcoats "The Road"/"Die Straße", eine Verfilmung des vielfach ausgezeichneten gleichnamigen Romans von Cormac McCarthy: Ein Vater und sein Sohn gehen auf einer Straße. Ohne Nahrung. Ohne Wasser. Leichen liegen am Weg. Die Welt in diesem unorthodoxen Science-Fiction-Film ist grau und tot, eine öde Mondlandschaft - irgendwann nach einer nicht weiter definierten Katastrophe. Ein hoch-pessimistisches, tieftrauriges Szenario. Schrecklich und darin schön, aber doch nicht wirklich gelungen.

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