Sonntag, 27. September 2009

Kino zwischen Leben und Tod

Lu Chuan
Der verschwiegene Massaker: Beim Festival von San Sebastián triumphieren ein chinesischer Regisseur, sowie das spanische und das französische Kino - San Sebastián-Blog, 11. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Direkt nach der Vorstellung von Lu Chuans "City of Life and Death" wusste man: An diesem Film kommt die Jury nicht vorbei. Die grausigen Ereignisse des Massakers von Nanking 1937/38, die der Film zeigt, und das prächtige, aber doch kühle Schwarzweiß, in dem er sie erzählt, kontrastierten so stark mit dem warmen Spätsommerabend, an dem der Film letzte Woche auf dem Festival von San Sebastián gezeigt wurde, das es einen unwillkürlich fröstelte. Jetzt hat der junge chinesische Regisseur mit seinem dritten Spielfilm (schon der Neo-Western "Mountain Patrol" lief erfolgreich bei uns) nicht nur irgendeinen Preis, sondern die "Goldene Muschel" und damit den Sieg beim viertwichtigsten europäischen Filmfestival errungen. Auch der Preis für die beste Kamera und der Preis der ökumenischen Jury ("Signis") ging an den Film - eine verdiente Anerkennung, die nicht allein politisch gemeint ist, sondern auch künstlerisch. Die aber trotzdem auch den Tabubruch würdigt, mit dem ein Regisseur gegen die Verdrängung dieser unvergleichbaren Demütigung Chinas antritt, ohne in billige anti-japanische Propaganda zu verfallen.

Ein weiteren Preis durch die Jury unter Vorsitz des Franzosen Laurent Cantet ("Die Klasse") bekam der Franzose Francois Ozon für seinen neuen Film "Le Refuge" (Spezialpreis der Jury). Darin geht es um ein Girl, das von ihrem toten Freund schwanger ist, und sich aufs Land zurückzieht. Dann kommt der Bruder des Toten zu Besuch ... Für Ozon eher eine Routine-Arbeit, ein Zwischenwerk, bei dem man sich aber während des Ansehens trotz anfänglicher Reserve dabei ertappt, wie man zusehends interessiert wird, wie Ozon es immer wieder schafft, zwingend von Gefühlen zu erzählen - womit er natürlich perfekt in unsere Zeit passt, und bei Jurys wie Publikum viel mehr Erfolg hat, als das cinephilere, philosophischere, darum dann eben aber kühler wirkende Kino von Bruno Dumont oder Christophe Honoré, deren Filme leer ausgingen, obwohl sie Preise verdient hätten.

Insgesamt vier Preise gingen an drei verschiedene Filme aus Spanien - seit Jahren hatte das spanische Kino hier nicht mehr so viele Auszeichnungen erhalten. Am besten gefiel mir Isaki Lacuestas "Los Condenados" (Kritikerpreis), in dem eine Gruppe alter Freunde die gemeinsame Vergangenheit aufarbeitet - ein hochaktueller Film über den Umgang mit der Vergangenheit. Aber wieder ein bisschen zu hoch für eine Jury, in denen drei von sieben Mitgliedern Schauspieler sind.
Deren Geschmack traf offenbar dafür die resignierte Mitfünfzigerin in Javier Rebollos "La mujer sin piano" (Beste Regie), über die hier schon geschrieben wurde, und "Yo, tambien", über die Liebe zwischen einer gesunden Frau und einem Mann mit Down-Syndrom (Beste Schauspielerin, bester Schauspieler).

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