Samstag, 12. September 2009

Gemeinsamkeit Orient

We agree to disagree: Der israelische Film "Lebanon", die Iranerin Shirin Neszad und Fatih Akin gewinnen beim Filmfestival von Venedig - Venedig Blog, 16. Folge

Von Rüdiger Suchsland

"Wer sich selbst und andere kennt/ Wird auch hier erkennen:/ Orient und Okzident/ Sind nicht mehr zu trennen." (Goethe: "Westöstlicher Diwan")

Ein Silberner Löwe für den in Deutschland produzierten, im Iran spielenden Film "Women Without Men" von Shirin Neshat, der Juryspreis für Fatih Akin, der Kritikerpreis für Jessica Hausners, auch in Berlin produzierten "Lourdes" - man könnte sagen, dass es diesmal ein deutscher Abend war, als am Lido von Venedig die Preise verliehen wurden. Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht, und die Preise vom Samstag erzählen noch einiges mehr.

"Was für eine feige Jury!" - so Josef Schnelle vom Deutschlandfunk, "Ich finde es auch immer falsch, wenn Preise nach politischen Kriterien vergeben werden." sagte Carlos Gerstenhauer von "BR kinokino". Beide sprachen nur stellvertretend für viele die Enttäuschung ihrer Kollegen aus.

Wenn Jurys sich nicht einigen können, flüchten sie sich in Politik und Unterhaltung. Die Filmkunst bleibt dann zumindest zum Teil auf der Strecke. Genau dieses Bild prägt die Entscheidungen vom Samstagabend: Man tritt weder Samuel Maoz israelischen Wettbewerbsbeitrag "Lebanon" noch Shirin Nesats im Iran spielenden "Women Without Men" zu nahe, wenn man unterstellt, dass es vor allem die hier berührten brennenden politischen Themen - der Nahostkonflikt und die innere Unfreiheit im Gottesstaat Iran - waren, die die Preise für sie motivierten. Und Fatih Akin war, auch das ist deutlich erkennbar, für den Feel-Good-Part zuständig. Gegen alle drei Preise ist an sich wenig zu sagen, aber alle drei sind Kompromisse, oder juryinterne Deals - zu offenkundig fehlt dem Gesamtbild, wie auch den anderen Auszeichnungen am Ende des diesjährigen Wettbewerbs irgendeine innere Linie oder zwingende Gemeinsamkeit - im Gegenteil: Der engagierte, überhitzte, offen politische Traumata berührende "Lebanon" und der ruhige, distanziert erzählte, gewollt stilisierte magische Realismus von "Women Without Men" und schließlich die aus der Hüfte geschossene geniale Albernheit eines Fatih Akin haben aber auch so gar nichts miteinander gemeinsam.
Bzw. gibt es doch eine Gemeinsamkeit. Sie heißt "Orient", genauer "Orientalismus": Laut Edward Said ein eurozentrischer, westlicher Blick auf die Gesellschaften des Vorderen Orients bzw. die arabische Welt, ein heimliches Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Orient.

Mit dem Goldenen Löwen ging der Hauptpreis an Samuel Maoz israelischen Wettbewerbsbeitrag "Lebanon". Eine wichtige Auszeichnung für diesen Film war zumindest erwartet worden. Dass es gleich die allerhöchste werden würde, damit hatten viele nicht gerechnet: Zu schockierend sind die Bilder des Films, zu experimentell wirkt seine Herangehensweise.

Was an den Entscheidungen zumindest verwundert und ärgert: Dass - bis auf Neshat - konsequent alle Filme leer ausgingen, die in irgendeiner Weise filmisches Neuland betraten, künstlerisch kontrovers waren: Für Jessica Hausners "Lourdes" gab es immerhin noch den Preis der Kritikerjury, die drei ästhetisch atemberaubendsten, intellektuell herausfordernsten Wettbewerbs-Filme von Claire Denis, Brillante Mendoza und Vimukhti Jayasundara gingen völlig leer aus - das war dann doch etwas zu wenig Kunst. Oft genug war es umgekehrt, gerade in Venedig: Da war der Wettbewerb eher schwach, die besten Filme in den Nebenreihen, und plötzlich rettete am letzten Tag eine weise Jury mit klugen Entscheidungen das Festival. Diesmal war der Wettbewerb stark, das Publikum allgemein überaus glücklich mit dem Programm - nur die Juryentscheidungen am Ende regten viele auf.

"Und mag die ganze Welt versinken,/ Hafis, mit dir, mit dir allein/ Will ich wetteifern! Lust und Pein/ Sei uns, den Zwillingen, gemein!/ Wie du zu lieben und zu trinken,/ Das soll mein Stolz, mein Leben sein."
Eine kuriose Information am Rand: Der Siegerfilm war sowohl vom Festival von Berlin, wie von dem in Cannes abgelehnt worden - auch im Nachhinein eine richtige Entscheidung. Auch um Fatih Akin gibt es entsprechende Gerüchte in Bezug auf Cannes. Akin selbst allerdings, auch das soll hier nicht verschwiegen werden, legt nachdrücklich Wert auf die Feststellung, er habe den Film der Auswahlkommission von Cannes gar nicht gezeigt.

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