Mittwoch, 9. September 2009

Israelische Geisterbahnfahrt

Spekulativ und konstruiert: Samuel Maoz "Lebanon" hakt Stationen des Schreckens ab

Von Rüdiger Suchsland

Ein wunderschönes Sonnenblumenfeld, im Hochsommer. Ziemlich lang ist diese erste Einstellung, in der aber auch gar nichts passiert. Man wird sie am Ende des Films wiedersehen.

Dann aber sieht man erstmal gar nichts. Das gleißende Licht des Sonnenscheins ist tiefer Dunkelheit gewichen. Dafür rumpelt und knattert es. Es knarzt. Dann tauchen Gesichter auf, von jungen Männern in Großaufnahmen.

Schnell ist klar: Es handelt sich um eine israelische Panzerbesatzung, und der Filmzuschauer sitzt mit denen im Panzer. Alles spielt am 6. Juni 1982, dem Tag an dem der israelische Feldzug in den Libanon begann. Kurz darauf wird der Panzer die Nord-Grenze überschreiten, man hört die Gespräche der Soldaten, auch den Funkverkehr.

Samuel Maoz erzählt in "Lebanon", seinem israelischem Wettbewerbsbeitrag in Venedig, den Libanonkrieg von 1982 ganz aus der Perspektive einer einzigen Panzerbesatzung. Man steckt in dem Stahl-Kasten drin, ist ausgeliefert. Alles was man sieht ist das Panzerinnere und der Blick durchs Zielfernrohr. Das ist eine Viertelstunde lang aufregend, dann aber schnell ermüdend, und, wenn man zu denken anfängt, bald ärgerlich.

Das liegt zum einen daran, dass hier wie in einer Geisterbahnfahrt die Stationen des Schreckens abgehakt werden. Wie Pflichtübungen, aber vor allem als Gruselkabinett: Ein Pkw mit terroristischen Insassen wird nicht unter Beschuss genommen, dafür dann der mit dem lieben Hühnerhändler. In einem Dorf sieht man tote, versehrte, traumatisierte, verkrüppelte Männer und die Folgen der israelischen Bombardements. Dann eine Frau. Erst wird ihr Mann, dann ihre Tochter getötet, als die Israelis versuchen, jene Araber, die sie als Geisel genommen haben zu töten. Schreien und Verzweiflung genügen nicht, sie verliert auch noch ihre Kleider. Das hat mehr als einen Hauch von Exploitation-Kino.

Hinzu kommt: Die Panzerbesatzung besteht aus lauter lieben Jungs, die viele Skrupel haben, nicht schießen können, wenn es gut wäre, nach ihrer Mami schreien und vor allem nicht schuldig werden wollen. Ist Krieg so? Vielleicht. Gab es das? Bestimmt. Aber bestimmt nicht nur. Wären alle Soldaten so wie diese hier, wäre die israelische Armee seinerzeit jedenfalls nie bis Beirut gekommen. "Lebanon" ist insofern auch eine Beleidigung der Fähigkeiten der Israelis, wie der Intelligenz seiner Zuschauer.

Noch schwerer wiegt: Der Stil des Films. Auf der Soundebene ist die Tonspur völlig übertrieben laut. Andauern macht es Ploink und Bworrrk. Aber ein Panzer 1982 ist nicht Wolfgang Petersens "Boot" von 1941. Offenkundig geht es nicht um Naturalismus - der aber dann wieder behauptet wird -, sondern darum, die Zuschauer zu nerven und unter Druck zu setzen, ein manipulatives Verfahren, das vor allem belegt, dass der Regisseur seinem Stoff nicht wirklich vertraut. Die visuelle Perspektive ist verlogen. Denn der Zuschauer blickt immer nur durchs Zielfernrohr, nie durch den Sehschlitz des Fahrers. Das suggeriert erstens eine einheitliche Perspektive, zweitens, dass alle sähen, was die Kamera zeigt.

Die moralisch-politische Perspektive des Films erscheint doppelzüngig: Einerseits glaubt Maoz sicher aufrichtig, er sei israelkritisch. Und will es auch sein. Andererseits sind es dann im Panzer doch alles liebe Jungs. Und die wahren Arschlöcher und Sadisten die libanesische Falange, Araber also, wenn auch christliche, die für Israel die Dreckarbeit machten. Das mag sogar - wie in "Waltz with Bashir" - den historischen Tatsachen entsprechen. Aber wenn man es sieht, wirkt es dann doch, wie die Soldaten unter unseren Großvätern einst von der deutschen Ostfront erzählten: "Die richtigen Schweine waren doch die Ukrainer! Das waren Sadisten." Mag ja stimmen. Was noch nicht heißt, dass die, die ihnen den Rahmen steckten, sie bewaffneten und einsetzten, keine Schweine waren, und sich nicht schuldig gemacht hätten. So hat "Lebanon" am Ende den merkwürdigen Aspekt, dass hier die Schuldfrage ausgeblendet wird, alles in so allgemeine wie sülzige Traumadiskurse mündet.
Insgesamt ist "Lebanon" also recht spekulativ und sehr konstruiert. Aber da Israel(selbst-)kritik auf Filmfestivals noch populärer ist als Kritik an Amerika, bekam Maoz' Film viel Applaus und dürfte am Samstag durchaus Chancen auf einen "Löwen" haben.

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