Samstag, 23. Mai 2009

Terry Gilliam im Spiegelland

Poesie gegen Prosa: Terry Gilliams durchgeknallte Fantasy: "The Imaginarium of Doctor Parnassus"

Von Rüdiger Suchsland

Noch ein "letzter Auftritt" von Heath Ledger, nun wirklich - nach Todd Haynes "I'm not there" und dem Joker in Christopher Nolans "Batman"-Spektakel "The Dark Knight" - der allerallerletzte, jedenfalls bevor es üblich wird, Darsteller per Animation wieder zum Leben zu erwecken, und Ledger dann auch mal mit Marilyn Monroe knutschen darf...

Es ist der neue Film von Terry Gilliam, dem Don Quixote, Lügenbaron und Märchenerzähler des Kinos ("Twelve Monkeys"). Er heißt "The Imaginarium of Doctor Parnassus" und könnte auch gleich "The Imaginarium of Doctor Gilliam" heißen. Ein typischer Terry Gilliam-Film, der alle seine Themen vereint und vieles zeigt, was man schon lange von Gilliam kennt. Etwas Neues zeigt er hier nicht wirklich, und er hat auch schon bessere Filme gemacht, aber nach der ersten, ziemlich zähen halben Stunde ist dies ein schöner, sehr unterhaltsamer Film - und der beste des unausgesprochenen Thementags der "durchgeknallten Filme" (es fällt auf, dass man hier in Cannes in diesem Jahr die Filme konsequent so programmiert, dass sie thematisch zusammenpassen): "Enter the Void" von Gaspar Noé und "Visage" vom Taiwanesen Tsai Ming-liang.

Die Anfangscredits sind in Spiegelschrift geschrieben, und es geht los mit "London, England", und dem Blick auf Obdachlose und eine altmodische Kutsche. Nun könnte gut eine Geschichte von Dickens beginnen, doch dann hört man shitty Techno-Klänge, sieht moderne Autos und begreift: Die Handlung spielt in der Gegenwart. Die Kutsche transportiert eine fahrende Bühne und von diesen ersten Minuten an ist der Film auch eine Feier des Kinos als Jahrmarktsvergnügen, seiner Ursprünge in billigen Sensationen, starken Reizen, dreisten Tricks, in der Bezauberung und Überwältigung des Publikums. Einmal fällt im Film der Satz: "There is no such thing as black magic. Only cheap tricks." Terry Gilliam erzählt dabei in seinem ersten eigenen Storyboard seit "Münchhausen" natürlich auch unbedingt viel über sich selbst, einen alten Geschichtenerzähler, dessen besondere Begabung darin liegt, jedem genau das zu bieten, was er sucht und bekommen will.

Dieser Doctor Parnassus, so stellt sich heraus, ist unsterblich, er erzählt nicht irgendeine Geschichte, sondern "the eternal story". Und sein ständiger Gegenspieler ist, mal wieder muss man sagen bei diesem Filmfestival, der Teufel. Gespielt von einem wunderbaren Tom Waits als zigarrenkauendem, melonetragendem Chicago-Boy will er den Erzählfluss stoppen und das "Ende der Geschichte" bewirken - wer das nicht auch als Metapher auf den Neoliberalismus und Gilliams private Geschichtsphilosophie begreift, unterschätzt Terry Gilliams Interessen wie seine Intelligenz. So ist dies auch eine politisierte Fantasyversion des "Faust", nur dass der Kampf zwischen Parnassus und Teufel, zwischen poetischem Geschichtenerzähler - "You can't stop stories beeing told." - und prosaischem Bilanzenverkünder ewig ist.

Auch des Parnassus' geheimnisvolles "Imaginarium" ist nicht ganz von dieser Welt, inmitten des kunterbunten, schrillen Jahrmarktsklimbim verbirgt sich vielmehr ein Spiegel, der das Eingangstor in ein Zauberreich bildet.

Nun: Auftritt Heath Ledger. Ausgerechnet als Gehenkter, an einem Seil unter einer Themse-Brücke baumelnd. Er wird wiederbelebt, oder besser: gerettet, und belebt nun auch die abgetakelte Theatertruppe des Parnassus, zu der dessen jungfräuliche Tochter, ein Zwerg, und der Jüngling Anton gehören. Was es genau aber mit diesem Tony auf sich hat, weiß keiner, man weiß nur, dass er von der Russenmafia verfolgt wird. Während Parnassus und seine Tochter ihn ins Herz schließen, gilt er den anderen nur als "Rattlesnake".

Stilistisch ist der Film von Anfang bis Ende überbordend. Eine verkitschte LSD-Phantasie, ein wild-chaotisches Spiel mit Zitaten und Versatzstücken, überraschend nahe an der Seventys-Ästhetik der Monty-Pythons. Ledgers Tod inmitten des Drehs (durch Selbstmord oder Drogenrausch) hat dazu auch das Seine getan, und dem Film zusätzlich genutzt. Denn die "physischen Transformationen" der Tony-Figur, die in bestimmten Passagen des Films durch Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell gespielt werden, geben allem ein zusätzliches phantastisches Element - und Depp ist hier, nebenbei gesagt, ganz eindeutig viel viel besser, als Ledger.
Zugleich ist es makaber, wie sehr diese Rolle mit Todes- und Vergänglichkeitsmotiven spielt: ein Überspannter, Todesnaher, der noch zwei weitere Male als Tony/Ledger in diesem Film gehenkt wird und wieder aufersteht - bevor er endgültig sterben muss.

Zugleich ist "The Imaginarium of Doctor Parnassus" noch etwas ganz anderes: Eine Satire aufs "Cool Britannia"-London der "New Labour"-Ära Tony Blairs: Es geht um Materialismus, der Film macht sich über saufende Yuppies genauso lustig wie über Desperate Housewives in den Shopping-Malls. Vor allem aber über Blair selbst. Denn Tony wird im letzten Drittel entlarvt als "Tony the Liar", als Millionär, der die Medien verzaubert, der sich gern mit dem Dalai Lama photographieren lässt, und über eine Kinderhilfsstiftung ein Charity-Business betreibt, das ihm vor allem viel Geld in die eigene Tasche spielt.

Ein guter Film. Hätte er nicht ein konformistisches Ende voller Spießerglücks-Phantasien und wäre die Kamera ähnlich phantasievoll wie der Rest, wäre er richtig groß.

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