Freitag, 22. Mai 2009

Kill Adolf

Die explodierende Leinwand - Quentin Tarantinos Kinder des Olymp: "Inglourious Basterds"

Von Rüdiger Suchsland

In "Inglourious Basterds" [Sic!], der weder der Kriegsfilm ist, als der er vermarktet wird, noch das Remake jenes italienischen B-Movies "The Inglorious Bastards" ("Ein Haufen verwegener Hunde") von Enzo G. Castellari aus dem Jahr 1978, macht Tarantino sich einen weiteren seiner Kinderträume wahr - und erfüllt uns damit auch einige uneingestandene Wunschvorstellungen.
Quentin Tarantinos Kino war schon immer Fetischkino, das dem Formalen unbedingt den Vorzug vor der Handlung gab, das dabei aber weder anti-erzählerisch noch unmenschlich wirkte. Und es war ein Kino des Transgressiven, der lustvollen Überschreitung des Erlaubten - und das heißt im Historiendrama auch: der historischen Wirklichkeit. Weil Tarantino das weniger subtil macht als seinerzeit Christopher Roth in "Baader", werden die Wächter der Archive diesmal auch nicht getroffen aufjaulen; sie werden einen Film wie diesen gar nicht der Beachtung wert finden - was ihn womöglich noch subversiver macht.
Zum einen ist der ganz als Studiofilm entstandene "Inglourious Basterds" [Sic!] in dessen Zentrum eine US-Eliteeinheit steht, die pro Mann "100 Naziskalps" erbeuten soll, damit nicht nur eine in den Stilmitteln des Italo-Western inszenierte Alternative zu all jenen kreuzbraven und erzlangweiligen Historiendramen, die besonders in Deutschland beliebt sind, die Beflissenheit in den Fakten mit historisch-politischem Eskapismus verbinden. Es ist auch ein Film, der noch einmal die Frage stellt - und zumindest teilweise beantwortet - wie man denn die Nazizeit darstellen könnte, ohne ihrer Ästhetik zu verfallen, wie man das Kino vor dem Nazi-Kino retten könnte. Natürlich weiß auch Tarantino, dass manche Filme des Dritten Reichs zwar politisch ekelhaft sind und man davon ihre Bildsprache auch nicht trennen kann, dass man aber zugleich um diese Bildsprache auch nicht immer herumkommt, und - und hier sind wir beim Fetischismus - nicht immer herumkommen will. Dabei ist Tarantinos Film, wie sein bisheriges Werk, dieser Bildsprache so ganz und gar nicht verpflichtet, viel weniger als zum Beispiel die Filme Fassbinders. Um so eher kann er sich leisten, ein paar mal offen mit ihr zu spielen.
Ansonsten sieht sein Frankreich mehr aus wie eine Westernlandschaft und sein Paris wie das Warschau in Lubitschs "To be or not to be". Und nur ganz spärlich ist der Umgang mit Hakenkreuzbinden und NS-Symbolik, kaum Stiefelschlagen und Uniform. Der Zitatcharakter bleibt hier im Übrigen immer deutlich, dieser Regisseur verfällt der Symbolik nie.

Und er braucht sie auch nicht, um die Schurken wirklich als Schurken zu zeigen. Der größte von allen wird hier von Christoph Waltz gespielt. Sein SS-Oberst Hans Landa ist eine Mischung aus Bürokrat und Dämon; ein boshafter Großinquisitor der Nazi-Macht. Ein toller abgründiger Auftritt, für Waltz die Rolle seines Lebens. Nun spielt Waltz nicht nur Brad Pitt an die Wand.
Vielleicht ist es überhaupt das Frappierendste an diesem Film, wie gut hier die deutschen Schauspieler sind. Offenbar muss erst ein Tarantino kommen, um ihre Fähigkeiten freizulegen, um einmal zu zeigen, was man mit diesen Schauspielern überhaupt alles machen kann, wenn man sie richtig inszeniert. Und er zeigt damit indirekt natürlich auch, wie vergleichsweise beschränkt die Fähigkeiten der allermeisten deutschen Regisseure sind.

Der Film ist episodisch erzählt, reiht zum Teil nur lose verbundene Szenen aneinander, ist im herkömmlichen Sinne undiszipliniert und unökonomisch - und darin die ganz Tarantino-typische Mischung eines Films, der zugleich Autorenkino und B-Movie ist. In der letzten halben Stunde bündeln sich die Erzählstränge zu einem Showdown, der seinesgleichen sucht: In einem Pariser Kino soll Hitler getötet werden, bei der Premiere eines Propagandafilms. Hinter der Propaganda verbirgt sich der Attentatsplan, und irgendwann, während der Film gezeigt wird, dreht er sich um 180 Grad, wird zur Antipropaganda, bevor, ganz wörtlich, die Leinwand in Flammen steht und explodiert. Das ist natürlich ein visuelles Statement gegen überhaupt jede Form des einfachen politischen Message-Kinos, es ist auch eine Forderung: Dass Filme eigentlich nur dann gut sind, wenn sie die Leinwand zum Brennen bringen, wenn sie voller Leidenschaft und Intensität das Publikum erbeben lassen.

Dann wird auch noch Adolf Hitler erschossen. Eine Maschinengewehrsalve zerschmettert sein Gesicht, bis es nicht mehr zu erkennen ist. Tarantino macht das, was nur die Kunst kann: Den Gang der Geschichte ändern, der Phantasie, den Wunschvorstellungen freien Lauf lassen.

Sein Film ist damit in allem DAS Gegenstück zum Stauffenberg-Drama "Valkyrie", kein beflissenes, depressives, graues Drama, bei dem man schnell vergisst, was eigentlich nochmal das Problem mit den Nazis war, sondern bunt und grell, so pervers wie die Nazis waren, eine kontrollierte Überschreitung der historischen Wirklichkeit, die diese dadurch um so sichtbarer macht. Denn dass man den Faschisten gerechter wird, wenn man sie als Monster und Bodysnatcher zeigt, als Unholde und Horrorgestalten in der Nachfolge des "Nosferatu"- und "Mabuse"-Kinos der Weimarer Republik statt als "Talking Killer" der Hollywood-Tradition, der seinem Jäger nur allzu ähnlich ist, das hat schon Guillermo del Toro in "Pans Labyrinth vorgemacht.

Das deutsche Kino traut sich trotzdem bis heute nicht zum Tabubruch und verbietet sich, uns den toten Hitler zu zeigen, das zerschossene Gesicht, den versehrten und damit zerstörten Polit-Mythos. Selbst in Bernd Eichingers "Der Untergang", der doch von Hitlers Ende zu handeln behauptet, gibt es zwar hunderte von Toten aber kein Bild des toten Hitler. Er bleibt unversehrt, und damit untot. Ein Wiedergänger der Geschichte, ein Zombie, der die Deutschen immer wieder heimsucht.
"Ich wollte Hitler töten" hat Tom Cruise auf der "Valkyrie"-Pressekonferenz gesagt. Tarantino hat es getan.

"Cannes, das ist der Gipfel des Kinos, der Olymp." schwärmte Tarantino dann bei der Pressekonferenz: "Ich bin kein amerikanischer Filmemacher. Ich mache Filme für Planet Earth. Und Cannes repräsentiert das." Es war ein denkwürdiger Auftritt, den der Independent-Star Tarantino, der vor 15 Jahren hier mit "Pulp Fiction" die Goldene Palme gewonnen hatte, nach der Premiere seines mit Spannung erwarteten "Inglourious Basterds" hatte.

Nicht Planet Hollywood also. Das war es, was Tarantinos Sätze an diesem Morgen so interessant machte: Dass sich hier ein Amerikaner sehr bewusst und sehr deutlich zum Weltbürger des Weltstaats Kino erklärte, dass er Stellung bezog gegen jene Dominanz des Marketing, des Geldes und des seichten Stargehabes, das Hollywood heute repräsentiert, und das die ganze Filmwelt infiziert hat. Außer Cannes: "Hier spielt Kino wirklich eine Rolle. Die Passion für Filmkunst. Es geht nicht um Geld und auch nicht um Stars - trotz Brad Pitt, der hier neben mir sitzt. Er ist der Diener des Films, nicht umgekehrt." Der Diener Brad Pitt lächelte dazu, nickte mit dem Kopf, und sagte die üblichen Hollywood-Sätze, wie gern er besonders mit diesem Regisseur zusammengearbeitet habe.

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