Sonntag, 24. Mai 2009

Liebe macht blind

Mussolini kann immer und überall: Marco Bellocchio wühlt in den Betten von Italiens Diktator

Von Rüdiger Suchsland

"Il Duce", der Duce, das geht den Italienern bis heute noch wesentlich leichter über die Lippen als die meisten Deutschen auf den Gedanken kommen würden, familiär vom "Führer" zu reden, wenn wir Adolf Hitler meinen.

In Form eines Familienmelos hat sich nun auch Marco Bellocchio des Duces angenommen. Bellocchio ("Der Teufel im Leib", "Buongiorno Notte"), Angehöriger der Generation der Achtundsechziger, gilt als Linker, aber in Italien heißt das nicht viel: Weder sind die Linken dort automatisch geschmackssicherer, noch haben sie mehr Sinn für politische Fettnäpfchen. Wie Bellochios "Vincere" beweist.

Dabei ist die Geschichte seines Films interessant. Basierend auf historischen Fakten, die vor allem Alfredo Pieronis Buch "The Secret Son of Il Duce: The Story of Albino Mussolini and His Mother Ida Dalser" und Marco Zenis "Mussolini's Wife" offenlegte, erzählt Bellocchio von der heimlichen Zweitfamilie von Italiens Diktator Benito Mussolini.

Ida Dalser hieß jene junge Dame aus vornehmem Haus, die 1914 den jungen Mussolini in Mailand kennenlernte, als er noch als radikaler Sozialist die Partei-Zeitung "Avanti!" herausgab, was ihn allmählich in der politischen Landschaft Italiens bekannt machte. Dalser verliebte sich Hals über Kopf. In den nächsten Monaten steckte sie ihr ganzes Vermögen in die Finanzierung der Zeitung "Il Popolo d’Italia", die Mussolini gründete, nachdem er wegen seiner Unterstützung von Italiens Weltkriegseintritt von den Sozialisten ausgeschlossen wurde - ein zentrales Element für den politischen Aufstieg Mussolinis und der Faschisten. 1915, Mussolini war an der Front, wurde der gemeinsame Sohn Benito Albino geboren.

Bereits seit 1914 war Mussolini aber verheiratet. Die Parallelfamilie verbarg er über zwei Jahrzehnte, um seine politische Karriere nicht zu gefährden. Später dann ließ er Dalser und den gemeinsamen Sohn ins Irrenhaus stecken, wo sie unter traurigen Umständen starben.

"Der Mussolini, den ich zeige, ist nicht der gütige pater familias, dessen einziger Fehler es war, sich mit Hitler zu verbünden, als der er manchmal in unserem Fernsehen gezeigt wird." sagte Bellocchio dem "Corriere della Sera", "er ist ein gewälttätiger, berechnender, gnadenloser Mann - selbst gegenüber der Frau, die er liebte und gegenüber seinem eigenen Sohn."

Bellocchio erzählt das Ganze aber leider vor allem im Stil einer Daily-Soap als kitschige Märtyrergeschichte. Langweilige Fernsehbilder, Schnitt-Gegenschnitt-Dialoge, Kulissenschieberei, das Ganze unterstützt durch immense Mengen von illustrierendem Dokumentarmaterial, die den Film mehr zerstückeln als gliedern. Vor allem aber interessiert er sich überhaupt nicht für die politischen Vorstellungen seiner Heldin. Deren Motivation war, glaubt man dem Film, allein ihre sexuelle Abhängigkeit von dem überaus potenten und allzeit bereiten Diktator. Der Duce kann immer und überall, und da schaltet sich der Restverstand der politisch mindestens naiven Bürgerdame schnell aus. Damit reproduziert Bellocchio eher den Mythos des Duce, den er doch eigentlich demontieren möchte. Schon klar, dass "Vincere" von der sinnlichen Faszination des Faschismus, von seiner oft verdrängten sexuellen Komponente handeln möchte, der sich die Italiener schon des öfteren - Lina Wertmüllers Filme und in zahlreichen B-Movies (vgl. dazu Marcus Stigleggers Buch "Sadiconazista - Sexualität und Faschismus im Film der siebziger Jahre bis heute") gewidmet haben. Aber was dann auf der Leinwand vor allem bleibt, ist die offene Identifikation des Regisseurs mit dem kommenden Diktator, wenn es um die Geilheit auf Frau Danser, bzw. ihre Darstellerin Giovanna Mezzogiono geht.

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