Mittwoch, 20. Mai 2009

"Macht, die nicht absolut ist, ist keine."

20.05.09

Ein russischer Zar bei den Filmfestspielen von Cannes

Von Rüdiger Suchsland

Düstere Blicke, lange Bärte, nicht ein Funken Humor - "Tsar" von Pavel Lungin ist genau so, wie man sich, in seinen schlimmsten Befürchtungen, einen russischen Kostüm-Film vorstellt. Man sieht eine Welt aus Schnee und Dreck, Menschen mit Pelzmützen und religiösen Visionen, arme Bauern und weise Priester. Und selbst der Mann an der Spitze des Staates friert und hat längst statt Zähnen schwarze Stümpfe im Mund.
Der Zar, um den es hier geht, ist "Iwan der Schreckliche" (1530-1584). Ein Thema mit Tradition, schließlich verfilmte schon Sergej Eisenstein das Leben dieses Zaren, seinerzeit im Auftrag Stalins, als Nationbuilding-Epos um die Sowjetunion propagandistisch in die Kontinuität einer tausendjährigen russischen Nationalgeschichte zu integrieren, und unausgesprochene Parallelen zu ziehen, zwischen dem Generalsekretär des ZK der KPdSU und dem selbsternannten "neuen Caesar", als Verteidiger des Reiches gegen ausländische Invasoren. Aber ansonsten gibt es nur wenige Bücher über diesen Zaren, als ob dieser Teil der russischen Geschichte bis heute ein Tabu sei.

Lungin erzählt Iwans Leben nun als die Geschichte eines religiösen Wahns und der Kirchenmacht. Über einen Herrscher, der Sendungsbewusstsein mit Angst verbindet, und der Überzeugung, die Apokalypse stehe unmittelbar bevor. Iwan sieht um sich herum nur Hölle - doch dann rettet die Kirche den Zar. "Wenn Du Gutes tust, ist Dein Wille auch der Wille Gottes" sagt ihm der Metropolit der orthodoxen Kirche.
"Die politische Kultur Russlands ist bis heute durch den Zwiespalt zwischen Fanatismus und Gottesfurcht dominiert." kommentiert der Regisseur. Formal wirkt Lungins Film zwar wie durchschnittliches 70er-Jahre-Fernsehen, inhaltlich ist es eine versteckte Verherrlichung der orthodoxen Kirche - "der Metropolit Philip opferte sein Leben, um andere zu retten. Er ist bis heute mit uns!" - und eine offene Allegorie auf das russische Reich des 21. Jahrhunderts, auf die Autokratenherrschaft des Vladimir Putin: "Macht wird in Russland immer als göttliches Recht aufgefasst", so Lungin, "Macht, die nicht absolut ist, ist keine. Die Person an der Spitze repräsentiert Gott auf Erden. Jeder, der ihn nicht anbetet, muss bestraft werden."

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