Sonntag, 17. Mai 2009

Aus dem Leben eines japanischen Sexspielzeugs

Meerjungfrau in kalter Welt - Kore-edas romantische Fantasie "Air Doll" bei den Filmfestspielen von Cannes

Von Rüdiger Suchsland

Sie heißt Cindy, und hat 5970 Yen gekostet. Sie hält still beim Sex, widerspricht nicht, ist abwaschbar, und auch sonst pflegeleicht. Doch eines Tages erwacht die Sexpuppe Cindy zum Leben und von nun an wird alles kompliziert.

"Air Doll" heißt der Film, der jetzt bei den Filmfestspielen von Cannes in der Sektion "Un Certain Regard" Premiere hatte. In dem gewinnt der Japaner Hirokazu Kore-eda ("Nobody Knows", "Still Walking") dem im Prinzip überaus klassischen Thema der toten Puppe, die zum Leben erwacht (bzw. des Automatenmenschen) - besonders beliebt zu Zeiten der europäischen Romantik, bei Shelley, Kleist oder Hoffmann - neue Fassetten ab.

Es hat einen ganz eigentümlichen Zauber, wenn man in den ersten Minuten des Films verfolgt, wie sich die aufblasbare Puppe, zunächst noch steif und ruckartig, dann zunehmend elastisch in der Welt bewegt. Wodurch sie eigentlich belebt wird - durch den Sexualakt ihres Besitzers in der Nacht davor, durch sein Kompliment, sie sei " ki-de-ki", beautiful, oder durch die Reinigung danach, oder gar durch Gott, das lässt der Film offen. Später erst erwähnt sie, was passierte: "I found myself a heart, I was not supposed to have."

Stattdessen sieht man, was das erste ist, was sie tut: Sie kleidet sich an - auch Sexpuppen kennen offenbar Scham. Sie probiert verschiedene Kostüme an, mehr oder weniger alles Fetische der Phantasie ihres Besitzers, und landet dann bei einem veritablen Püppchendress. Erst später entwickelt sie auch Geschmack in Modefragen. Dann begleitet man sie bei der Entdeckung der Welt: Dem Nachahmen der Kinder, der naiven Annäherung an das so komplexe Leben unseres Alltags. Sie findet Arbeit in einer Videothek namens "Cinema Circus", was dem Film Gelegenheit zu ein paar Filmdiskursen en passant bietet, und dazu Plakate von "I Robot" und diversen Klassikern abspielungsreich ins Bild zu rücken. Auch Pornofilme hat der Laden, und Cindy damit Gelegenheit, in der Porno-Abteilung auf anderer Ebene ihren Ebenbildern zu begegnen. Auch ein paar Anspielungen auf Andersens Märchen von der "kleinen Meerjungfrau" gibt es, die so gerne ein Mensch sein möchte...

Gestellt wird dadurch natürlich die Frage nach der Menschlichkeit des Menschen, danach, was ihn eigentlich von einer Maschine trennt - davon abgesehen, dass er kein Ventil hat, an dem man die Luft heraus lassen kann. Bald schon ist Cindy einsam in der Menschenwelt. Die ist kalt und böse, nur die Maschinenwelt ist unschuldig, das Girl aber beißt in einen Apfel und sündigt - denn das ist Menschsein: "Because I found a heart, I told a lie."

All das hat eine gewisse Poesie, reicht aber nicht hin. Stattdessen plätschert der Film nach einer knappen Stunde zwischen wenigen guten Szenen über die Zeit, und nachdem der Puppe - darauf hat man seit Beginn gewartet - einmal die Luft ausgeht, passiert das auch dem Film. Der Rest ist, mehr und mehr, Kitschphantasie.

Natürlich soll das auch Kritik sein an der japanischen Gesellschaft, an einer Welt, die durch Demütigung und Ausnutzung strukturiert ist, und in der alle ein bisschen unglücklich sind, sich mit Substituten am Leben halten, wie Pornos oder Sexpuppen. Das Beste am Film bleibt die gloriose Bae Du-na ("Sympathy for Mr. Vengeance", "Tube", "The Host"). Kann es ein Zufall sein, dass der Regisseur hier die Rolle einer japanischen Sex-Puppe mit einer koreanischen Schauspielerin besetzt hat?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen