Freitag, 22. Mai 2009

Sophie Marceau und Monica Bellucci verschmelzen

Das Ich ist eine Andere: Marina van Dans Neo-Noir-Horror "Ne te retourne pas" bei den Filmfestspielen von Cannes

Von Rüdiger Suchsland

Der nackte Rücken von Sophie Marceau ist das erste, was man sieht. Sie steht allein vor dem Spiegel, daneben an der Wand hängen Bilder aus früheren Zeiten. Wer die Karriere von Sophie Marceau verfolgt hat, der kennt ein paar davon. Und darum ist dieser Film, auch wenn Sophie Marceau hier Jeanne heißt, auch und nicht zuletzt ein Meditation über diese Schauspielerin, über ihre öffentliche Persona, ihre Wirkung und Schönheit, über ihre Inszenierung.
Man sieht ihr zu, wie sie sich fertig macht, wie sie sich abschminkt, wie sie sich betrachtet. es ist Nacht, gleich wird sie zu Bett gehen. Einmal ganz kurz sieht man sie, wie sie ihre Falten unter den Augen mit einem Foto von früher vergleicht.

Zunächst scheint der Film eine nicht mehr ganz junge Frau in ihrem Alltag zu begleiten. Wir erfahren: Sie ist erfolgreiche Journalistin. Jetzt hat sie einen Roman begonnen, der auf autobiographischem Material beruht. Ihr Vater, der Verleger ist, will ihr den Plan ausreden. Zu detailliert sei das Buch, sie finde keine Form. Wir erfahren: Jeanne hat keine Erinnerung an die Zeit, bevor sie acht Jahre alt war. Nun will sie ihre "Kindheit wiederfinden". Zuvor sah man sie in einem Zimmer des Verlags Hachette sitzen. Über sich Fotografien einiger der wichtigsten französischen Geistesgrößen: Sartre, Baudelaire, Foucault, Yourcenar, Rinbaud. Alles Autoren die in ihrem Werk die Zersplitterung des modernen Ichs in den Blick nahmen, und versuchten, diese Splitter auf ihre je eigene Weise wieder zusammen zu setzen. Kurz darauf sieht man wie zufällig Filmplakate von "Casablanca" und "Inland Empire", kleine klare Verweise auf die filmische Landschaft des Noir und Neo-Noir, in der dieser Film zuhause ist.

Was dann in den folgenden Minuten passiert, ist merkwürdig: Erste Irritationen nehmen schnell zu, Jeanne hat das Gefühl, die Möbel in der Wohnung sind anders gestellt, sie erkennt Unordnung, wo zuvor keine war, Dinge scheinen spiegelverkehrt, und ihr Mann und ihre Kinder scheinen Unbekanten Zeichen zu geben. Erst bleibt es noch in der Schwebe, dann geht der Film mit schnellen Schritten voran: Jeanne wird eine andere. Eine andere Frau kriecht unter ihre Haut. Und die Erfahrung des Zuschauers ist noch irritierender: Denn er sieht, wie aus Sophie Marceau Monica Bellucci wird, wie beide Starschauspielerinnen miteinander verschmelzen - technisch elegant gelöst mit bekannten Morphingverfahren, aber als Spiel mit Unverwechselbarkeit und Austauschbarkeit der Star-Image eine so ironische wie aufregende Erfahrung.

"Ne te retourne pas" heißt der neue Film der Französin Marina van Dan, der jetzt in Cannes in der Sektion "Un certain regard" gezeigt wurde. Der neue Film dieser Beobachterin spezifisch weiblicher Grenzerfahrungen ("Dans ma peau") handelt von Ichverlust, vom Gefühl plötzlich ein Fremder zu sein, überall nur Veränderung zu sehen. Die Wissenschaft hat dafür Begriffe, das Gefühl ist das des Nervenzusammenbruchs. Am Schluß wird
Das Geheimnis des Geschehens, das erwartbar in der Kindheit von Jeanne liegt, in den natürlich nicht grundlos vergessenen, sondern verdrängten ersten acht Jahren, wird am Ende enthüllt. Aber im Gedächtnis bleibt "Ne te retourne pas" weniger als solider und stilsicherer Neo-Noir in altmodischen 70er-Jahre-Atmosphären, den man eines Tages zumindest auf DVD wird in Deutschland sehen können. Sondern als ein Horrorfilm, bei dem wie zum Trost die Kamera immer wieder minutenlang auf dem schönen Gesicht von Sophie Marceau ruht.

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