Freitag, 21. Mai 2010

Französische Prinzessin

Léa Seydoux

Sehnsucht nach Freiheit: Rebecca Zlotowskis "Belle épine" und eine Hauptrolle für Léa Sedoux – Cannes-2010 Blog, 7. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Es gibt Filme, da muss man nur die allerersten Sekunden sehen, um zu wissen, dass man sich auf sie verlassen kann: "Belle épine" ("Schöne Dorne") von Rebecca Zlotowski ist so ein Fall. Die Regisseurin zeigt ein junges Mädchen. Aus dem Off hört man eine harsche Frauenstimme: "Wie heißt Du? Mach Deine Taschen leer! Zieh Dich aus!!" Schnell ist klar, dass es sich um eine Polizeistation handelt, und das Mädchen als Ladendiebin erwischt wurde. Sie heißt Prudence, ihr Verhalten ist aber das Gegenteil von Vorsicht und Bedachtsamkeit. Mitunter scheint es im Gegenteil fast von einem uneingestandenen Selbstzerstörungstrieb bestimmt zu sein. Nur in ihrem Blick, der oft nach unten gerichtet ist und eine Mischung aus "störrisch" und "schüchtern" ausdrückt, liegt von Anfang an eine Zurückhaltung, über die man bald mehr erfahren wird. Dann führt man noch eine zweite junge Diebin herein, sie heißt Marilyne und nur in ganz beiläufigen, kaum bemerkbaren Gesten entsteht zwischen den beiden Mädchen eine Beziehung. Als das Verhör dann vorbei ist, wird Marilyne von ein paar Jungs auf dem Motorrad abgeholt, doch an den sehnsüchtigen Blicken, die Prudence ihr und den Bikern hinterherwirft, ist klar, dass sie alle sich wiedersehen werden.

Dies ist ein wilder Film, der immer wieder unerwartete Wendungen nimmt und ganz von der Sehnsucht der Hauptfigur beherrscht wird: Nach der unbekannten Freiheit der Untergrund-Biker, nach erstem Sex, nach Liebe. Es gibt eine Art Überdruck in den Szenen, in denen das Leben dieser 17jährigen, die fast immer im Bild ist, nun in kurzen Sprüngen entfaltet wird, eine Grundspannung, die der von Prudence entspricht, aber Zlotowskis Inszenierung bleibt trotzdem kontrolliert und gibt immer nur das preis, was unbedingt nötig ist. Prudence hat gerade ihre Mutter verloren, der Vater ist für ein paar Wochen in Übersee, die ältere Schwester schaut nur gelegentlich vorbei.

Naturalismus und Klarheit der Hinsehens lassen an die Dardennes und an Pialat denken, aber mehr noch erinnert der Film in seiner melancholischen Verbindung von Trauer und Liebe, seinem Romantizismus der Verlorenheit, an das US-Kino der 70er: Monte Hellman, Cassavettes, der frühe Scorsese. Für manche Beobachter ist dieses Debüt, wie für mich, sogar der bisher beste französische Film in Cannes - die 30jährige Rebecca Zlotowski, die ganz offensichtlich in der Pariser Filmszene gut vernetzt ist - in den Nachspann-Credits gibt es Danksagungen für Louis Garrel und Noémie Lvovsky, zuletzt gehörte sie auch zum Auswahl-Team der Quinzaine unter Olivier Père - ist eine Regisseurin, die man von nun an im Auge behalten wird. Das gilt erst recht für die großartige Hauptdarstellerin Léa Seydoux, die vor zwei Jahren von Christophe Honoré als Hauptfigur von "La Belle Personne" entdeckt wurde, und derzeit gerade noch in "Lourdes" (als junge Krankenschwester) und in "Robin Hood" (als französische Prinzessin Isabelle d'Angoulème) zu sehen ist. Der Film ist ganz auf sie zugeschnitten, und sie füllt diesen großen Raum jederzeit mit Präsenz und Intensität ganz und gar aus - ohne Frage der neue aufsteigende Stern unter den französischen Darstellern.

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