Donnerstag, 13. Mai 2010

Gladiator on the beach

Don't print the legend! Ridley Scotts "Robin Hood" eröffnet Cannes, weiß aber nicht recht, was er mit dem britischen Sozialrebellen überhaupt anfangen soll - Cannes 2010-Blog, 1. Folge
Von Rüdiger Suchsland

Robin Hood kann alles, macht alles, sogar Bäume hochlaufen. Er fechtet, spaltet mit Pfeil und Bogen Pfeile in der Mitte, ist lustig, verführt adelige Fräuleins, trägt Strumpfhosen und freche Filzhütchen mit Vogelfeder und spaziert am liebsten im Wald. Zumindest tut er das in den geschätzt etwa 50 Verfilmungen des Stoffes vor Ridley Scott. Unter anderem Douglas Fairbanks, Errol Flynn und Kevin Costner spielten den Sozialrebellen und Rächer der Enterbten.

Bei Ridley Scott spielt ihn Russel Crowe, der vieles kann, den man sich aber als flinken Waldgänger dann doch nicht vorstellen kann. Bei Scott trägt er ein Kettenhemd und müht sich ab mit einem schweren Schwert, der Waffe der adeligen Ritter, während Pfeil und Bogen ihn eigentlich als Mann des Volkes ausweisen. Lady Marian spielt Cate Blanchet arg damenhaft, vor allem dafür, dass sie tagsüber selbst auf dem Feld arbeiten muss, und wenn man ehrlich ist, kann einem Blanchets wichtigtuerisch staatstragendes Spiel schon gewaltig auf die Nerven gehen. Hier wirkt sie, als stünde sie gleichzeitig neben dem Film, und ziele überdies darauf, sehr bald die Nachfolge von Meryl Streep anzutreten.

Trotzdem: Rund eine Stunde lang macht Ridley Scott fast alles richtig. Da ist sein Film ein pralles Panorama des Mittelalters zur Zeit des Dritten Kreuzzugs, und wirkt eher wie eine Fortsetzung von Scotts Kreuzfahrerfilm "Kingdom of Heaven". Man sieht, wie seinerzeit eine Burg eingenommen wurde, man sieht Kämpfe im Wald, Bootsüberfahrten, das Leben des eher verarmten Landadels. Das ist extrem plastisch und sinnlich und realistisch, ohne Glamour: Ritter im Schlamm, man glaubt, den Dreck riechen und die Feuchtigkeit fühlen zu können. Erkennbar auch Scotts Interesse für Militärtechnik, das man schon in früheren Filmen - von "Gladiator" bis "Black Hawk Down" - bewundern konnte. Ridley Scott, auch schon bald 72, hat Sinn für Geschichte, und das heißt für Details. Erstaunlich auch, mit wieviel Energie er bei der Sache ist - ein Film, dessen Druck nie nachlässt, und doch erfüllt von der Lust an Einzelheiten, kleinen stimmigen Details: Etwa das London des Jahres 1199. Oder der Sherrif von Nottingham, der hier völlig heuntergekommen ist, arm, unwichtig - kleine, dreckige, einfache Verhältnisse. Oder dem inmitten der Schlacht wiederkehrenden Ruf "Protect the king", worauf dann die Ritter sämtliche Vorsicht über den Haufen werfen, nur noch um die Sicherheit des mitunter blindlings stürmenden Herrschers bemüht.

Mit der bekannten Robin Hood Legende hat das alles nicht mehr viel zu tun. Ridley Scott, nicht Nachfahr von Walter, macht es anders. Bei ihm ist Richard Löwenherz fett, gealtert, frustriert, ausgebrannt aus dem Morgenland zurückkehrend, sich der eigenen Ehrlosigkeit nur zu bewusst. In Frankreich raubt er Burgen aus, um an Geld zu kommen, und um Beute für seine Soldaten zu machen. "One more castle to sac, then we are home to England."
Dann wird er bei einer Schlacht getötet. Auftritt Eleanore d'Aquitaine, die Mutter, und sein Bruder Johann Ohneland. Kein König in der Geschichte scheint so gezeichnet für alle Zeiten, wird so verachtet für seine Nichtswürdigkeit. Auch hier ist er ein belockter Decadènt, der sich nur für seine neue Frau Isabella von Angouleme interessiert. Diese war nun auch eine historisch interessante Figur, zu jenem Zeitpunkt allerdings erst 11 Jahre alt. Überhaupt nimmt sich Scott dafür, dass er sich auf der Objektebene um so viel Exaktheit bemüht, auf der Erzählebene bemerkenswerte historische Freiheiten.

Robin Hood selbst, Gefolgsmann im Heer, wird durch einen Zufall Besitzer der Krone, die zurück nach England soll, bringt sie dorthin, wird für den - eigentlich verstorbenen - Adeligen Richard Locksley gehalten und später dann von dessen Vater und Frau als dieser akzeptiert - eine schöne Weise, jene zahlreichen Geschichten aufzugreifen, in denen "falsche Ehemänner" aus dem Krieg heimkehren, oder Heimkehrer sich als Ehemänner ausgeben.

Dieser Robin schießt in der zweiten Hälfte des Films gerade noch einmal einen Pfeil ab, spaltet im ganzen Film nicht einen einzigen. Stattdessen mutiert er zum Helden eines nationalen Befreiungskampfes, dann wieder in einen Akteur im Kampf des Adels um verbriefte Rechte. Und kämpft schließlich auf dem Strand gegen französische Invasoren. Das sieht ein wenig so aus, wie "Elizabeth", vor allem aber wie "Gladiator", "Gladiator on the beach" sozusagen.

Schon zuvor hat ihn Scott im Insert zu Beginn als Outlaw-Freiheitshelden vorgestellt, "in years of tyranny… the outlaw takes his task", später redet er klug über Freiheit und "Man baut ein Land wie eine Kathedrale: Von den Fundamenten zur Spitze."

Insgesamt ist das Bild aber höchst uneindeutig. Einerseits ist dieser Robin ein Überlebenskünstler, erzählt Scott vom Aufstieg eines einfachen Mannes. Zugleich ist er traumatisiert: Vom Tod des Vaters und der Teilnahme an einem Massaker im Krieg. Wie der "Gladiator" ein verlorener Charakter, dem hier aber Heimkehr und Erlösung vom Trauma vergönnt sind. Ähnlich zwiegespalten ist Scotts politische Agenda. Er entscheidet sich für keine Positionierung seines Helden, nimmt in Kauf, dass dessen Darstellung in sich widersprüchlich ist: Gerade die Position des Adels ist zwar bereits bei Walter Scott doppeldeutig. Robin Hood heißt dort Locksley, doch der Adel steht für die Erniedrigung des Volkes. Plötzlich ist der Adel nun selbst Opfer und Robin ein konservativer Revolutionär, einer, der das Rad zurückdrehen will.

Irgendwie ist der Film gegen die Neoliberalen, den Finanzadel. "There are wolves in York." So erklärt der Euro-Nationalismus sich selbst derzeit auch, was Wall Street mit unserer schönen Währung macht. Aber irgendwie ist der Film doch auch gegen den Staat, der zum eigentlichen Ausbeuter erklärt wird, und gegen Besteuerung, als wäre Robin Hood der Guido Westerwelle des Mittelalters.

So mischt Scott alles, was ihm einfällt, zu einem Gebräu, das noch schwerer im Magen liegt als der Met von Friar Tuck: Feuer auf der Karte, wie in "Bonanza", Aufstandsstimmung, das Leitmotiv des schwachen Herrschers, dann England am Boden, ein bisschen "Patriot" reloaded, dann die zwei Wirtschaftsweisen, die böse der Ausbeuter und die gute des Säens und Erntens.

Der einzige echte Sozialrebell ist ein böser Schurke, der einmal den Robin-Hood-Satz sagen darf: "No one deserves 4000 acres." Genau! Ansonsten gilt: Sozialrebellen? Fehlanzeige.
Die Bösen haben ein gezeichnetes Gesicht, durch Narbe, und eine Glatze. Warum gilt ein Glatzkopf immer als böse? Und wenn sie Herrscher sind, wie der französische König Philip Augustus, dann essen sie Austern mit etwas Blut, was den König mit genug Verworfenheit und "décadence" markiert. Das ist alles etwas plakativ. Aber ohne echte Wucht und Provokation, wie es noch "Gladiator", Scotts düstere Wagner-Version des amerikanischen Eroberungskrieges hatte.

Ganz am Ende dieses Films, der wie ein Prequel aller denkbarer Robin-Hood-Filme anmutet, heißt es dann: "And so the legend begins."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen