Freitag, 14. Mai 2010

Gier ist Gesetz

Oliver Stones "Wall Street"-Fortsetzung in Cannes gefällt, lässt aber Wünsche offen - Cannes 2010-Blog, 2. Folge
Von Rüdiger Suchsland

"Ich bin mir unsicher, ob der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form überhaupt funktionieren kann." Es war ohne Frage der Auftritt des Tages: Sichtlich genoss der US-Regisseur Oliver Stone ("Natural Born Killers") am Freitag in Cannes die Aufmerksamkeit der Weltpresse - ohne übertriebene Eitelkeit, aber gewohnt selbstbewusst, mit einem Hang zu längeren Grundsatzerklärungen und doch zugleich interessiert an intelligenten Fragen und niveauvollem Austausch (und so braungebrannt, als habe er die vergangenen Wochen bereits in Südfrankreich oder unter der Sonnenbank vorgebräunt), stand er nach der Premiere seines neuen Films "Wall Street 2 - Money Never Sleeps" Rede und Antwort. Konzentriert und energiegeladen ging es da natürlich um weit mehr als um einen Kinofilm: Es ging um die weltweite Finanzkrise, Korruption und Bereicherung der Banker, das Versagen der Politik und die Zukunft des westlichen Wohlstands: "Wir scheinen alle wie besoffen zu sein", so Stone, "1987 dachte ich, das System würde sich selbst korrigieren. Aber alles wurde noch viel schlimmer."

"Wall Street 2" bietet zuallererst ein Wiedersehen mit Michael Douglas in einer seiner bekanntesten und besten Rollen: der des Finanzhais Gordon Gekko. Gekko, der gegen Stones Absicht mit seinen schamlosen Sprüchen - "Gier ist gut" - für manche Broker in den letzten Dekaden zu einem Idol wurde, erscheint hier allerdings als Geläuterter. Ein Veteran aus der Vergangenheit, als Kapitalismus noch Marktwirtschaft hieß, und man nur Geld verdienen konnte, wenn man etwas produzierte. Die besten Szenen des Films sind denn auch jene, in denen Stone ein satirisches Panorama des Finanzbetriebs bietet, in denen Gekko und einige andere Charaktere im Film das Tun der heutigen Börse erklären, und in denen der Film en passant ein paar Abläufe während der Finanzkrise 2008 erklärt. Harsche Aussagen fallen da, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: "War Gier früher gut? Heute ist Gier Gesetz"; "Spekulation ist die effektivste Massenvernichtungswaffe"; "Wie definiert man Geisteskrankheit? Wenn man das Gleiche wieder und wieder tut und ein anderes Ergebnis erwartet. Wie die Börsen." Hier spricht ohne Frage auch der Regisseur selber. Er zeigt die heutige globale Wirtschaft als eine Welt des "Steroid Bankings", in der Maschinen entscheiden, und sich ein "bankrottes Geschäftsmodell" "wie Krebs" ausbreitet. Hier ist der Film provokativ, hat aber einige argumentative Substanz zu bieten. Und in diesen Passagen ist er auch gut gemacht. Zu lange allerdings wartet man, bis auch Gekko wieder seine andere, gierige Seite zeigen darf. Jene kurzen Passagen gehören denn auch zu den besten des Films.

Zugleich sieht man dem Film jederzeit an, wie fasziniert Oliver Stone selbst von dieser Welt ist, die er in Form einer präzisen Sozialstudie zeigt und anklagt, von ihrer Energie, von dem Stil der Machokämpfe und des "hardtalk", den schönen Frauen, teuren Gemälden und Luxusappartements, die auch zu ihr gehören. So ist "Wall Street 2" zugleich deutlich von der Lust an seinem Gegenstand geprägt - was Stone dann mit viel Moralismus sozusagen überkompensiert. So bleibt die Rahmenhandlung über einen begabten jungen Broker (Shia LaBoef), der als Gekko-Schwiegersohn in spe mit diesem einen Komplott gegen einen alten Feind schmiedet, überaus blass. So recht entscheidet sich der Film nicht zwischen Satire, Pamphlet und Moral-Kantate - mit dem Ergebnis, dass er am Ende ein wenig zwischen allen Stühlen zu sitzen scheint.
Während "Wall Street" 1987 klar von der Faszination für den bösen Broker bestimmt war, wie Shakespeares "Richard III." von der für den bösen Herrscher, wirkt dieser Film eher wie ein "King Lear": Das Drama eines alternden Vaters, der aus Fehlern lernt, inszeniert vor der Kulisse allgemeinen Untergangs - wofür dann die Börsensatire auf der Strecke bleibt.

Lange Zeit hatte sich Stone übrigens einer Fortsetzung von "Wall Street" verweigert. Schon weil er der Ansicht war, mit dem Film alles zur Natur des Finanzmarkts, und zur speziellen Amoral der Wirtschaft gesagt zu haben. Doch 2006 fragte ihn Michael Douglas persönlich, und dies war auch deshalb ein guter Zeitpunkt, weil Stone nach zwei weniger erfolgreichen Spielfilmen wieder einen Hit brauchte, um im Geschäft zu bleiben: "Die Zeit war gekommen", so Stone am Freitag, bevor er den Film abends gemeinsam mit seinen Hauptdarstellern feiern ließ.

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